Verkehrsrecht Saarland: auch bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung des Motorradfahrers kann es im Falle einer Kollision mit einem Linksabbieger bei der einfachen Betriebsgefahr verbleiben (Hinweisbeschluss des OLG Saarbrücken vom 10.07.2020 – AZ: 8 O 26/18)

Der Fall:

Ein PKW mit Anhänger bog innerhalb einer Ortschaft links ab und kollidierte dabei mit einem entgegenkommenden Motorradfahrer, der zuvor einen Lkw überholt hatte, und dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung von rund 20 % nachgewiesen wurde.

Das Ergebnis:

Obgleich dem Motorradfahrer eine überhöhte Geschwindigkeit vorzuwerfen war, hielt das OLG Saarbrücken die Entscheidung des LG Saarbrücken, wonach auch in diesem Fall dem Motorradfahrer lediglich die Betriebsgefahr in Höhe von 25 % zur Last fällt.

Unter anderem legt das Gericht wie folgt dar:

„c) Entgegen der Berufung ist es weiterhin nicht zu beanstanden, dass das  Landgericht bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile einen Mithaftungsanteil der Beklagten von (nur) 25 % angenommen hat.

aa) (…) Dass es keinen höheren Mithaftungsanteil als 25 % angenommen hat, hat das Landgericht ausführlich und in nicht zu beanstandender Weise damit begründet, dass der Kläger die deutlich überwiegende Unfallursache gesetzt hat, da er seine aus § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO folgende Wartepflicht missachtet hat, auf die die Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 2 keinen Einfluss hatte, und hiermit eine schwerwiegende Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, die regelmäßig die alleinige oder doch deutlich überwiegende Haftung begründet. Lediglich in Ausnahmefällen kommt eine Mithaftung des Geradeausfahrers in Betracht, namentlich bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Hierbei ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von bis 30 % in der Regel bereits eine Mithaftung des Geradeausfahrers in Höhe der einfachen Betriebsgefahr angenommen werden kann, und bei einer Überschreitung von 30 bis 50 % eine Mithaftung zumindest in Höhe der einfachen Betriebsgefahr regelmäßig in Betracht kommt (vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Aufl., Rdn. 230 f.). Dies zugrunde legend, ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im vorliegenden Fall bei einer Überschreitung von nachgewiesenermaßen knapp unter 20 % eine Mithaftung von 25 % für angemessen erachtet hat.

bb) Die Berufung kann sich auch nicht mit Erfolg darauf stützen, dass die einfache Betriebsgefahr des Motorrads mit einem höheren Anteil als 25 % zu gewichten sei.

(1) Insbesondere ist es nicht zutreffend, dass (…) die einfache Betriebsgefahr des Motorrads bereits zwischen 30 und 40 % zu bemessen sei. Das Landgericht hat diesbezüglich bereits richtigerweise darauf hingewiesen, dass es für die Betriebsgefahr insoweit darauf ankomme, ob Größe, Art oder Gewicht des Fahrzeugs eine besondere Gefahr begründen, die sich in dem Unfallgeschehen verwirklicht hat. Für Dritte begründet ein Motorrad vor allem besondere Gefahren wegen seiner Instabilität und der damit verbundenen Sturzgefahr (BGH NJW-RR 2010, 839 juris Rn. 27 f.; Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 17 StVG (Stand: 28.03.2018) Rn. 23 m.w.N.); diese Gefahr hat sich jedoch vorliegend nicht verwirklicht. Der Beklagte zu 2 hat den Unfall (ausschließlich) dadurch mit verursacht und verschuldet, dass er mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist (Ziffer 1 c) der Entscheidungsgründe, Seite 9 f. des Urteils).

(2) Entgegen der Berufung kann eine Erhöhung der Betriebsgefahr des Motorrads auch nicht damit begründet werden, dass sich das Motorrad vor der Kollision in einem Überholvorgang befunden hat. Denn in die Abwägung eingestellt werden können lediglich Umstände, die sich kausal ausgewirkt haben. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Kläger gemäß den obigen Ausführungen den Nachweis nicht geführt hat, dass der Beklagte zu 2 bei Beginn des Abbiegevorgangs aufgrund des Überholvorgangs für ihn nicht erkennbar war. Vielmehr haben, wie ebenfalls bereits dargelegt, die Beklagten ihrerseits den Nachweis erbracht, dass der Kläger gegen seine Wartepflicht aus § 9 Abs. 3 StVO verstoßen hat, weil der Überholvorgang im Zeitpunkt des Abbiegens bereits abgeschlossen war. Damit hat sich das Überholen als solches nicht unfallursächlich ausgewirkt und darf mithin bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG nicht zulasten der Beklagten berücksichtigt werden.

(3) Insbesondere ist entgegen Berufung nicht festgestellt, dass der Beklagte zu 2 den Überholvorgang an sich überhaupt nicht hätte beginnen dürfen, da der Lkw bereits mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h gefahren ist und das Überholen von vornherein nur unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zulässig war. Denn zwar hat der Zeuge (…) angegeben, er sei mit einer Geschwindigkeit von „so 40 bis 50 km/h“ gefahren; er schätze, dass der Beklagte zu 2 etwa 70 km/h gefahren sei, als er ihn überholt habe, er sei ziemlich schnell an ihm vorbei (BI. 96 d.A.). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich bei diesen Geschwindigkeitsangaben um offensichtliche Schätzungen handelt, die daher nicht valide zugrunde gelegt werden können. Auch der Sachverständige hat ausgeführt, dass mangels Einbau einer Diagrammscheibe die Geschwindigkeit des Lkw nicht mehr nachvollzogen werden könnte, und dass mangels Kenntnis der genauen Geschwindigkeit des Lkws die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 2 im Bereich von 59,7 bis 78,5 km/h gelegen habe (BI. Seite 33 des Gutachtens, BI. 141 d.A.). Nach alldem steht nicht fest, dass der Beklagte zu 2 den Lkw nicht auch ohne Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte überholen können, sondern lediglich die Geschwindigkeitsüberschreitung als solche, welche das Landgericht jedoch zulasten der Beklagten bereits berücksichtigt hat.

dd) Die Zuerkennung einer höheren Mithaftungsquote zulasten der Beklagten als die vom Landgericht angenommenen 25 % kommt nach alldem nicht in Betracht.

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einen Pkw mit beladenem Anhänger geführt hat. Ein solches Gespann ist gegenüber einem Pkw ohne Anhänger schwerfälliger und langsamer und benötigt zudem aufgrund seiner Länge eine größere Zeitspanne für die Durchführung eines Abbiegemanövers, wobei zugleich die Straße in größerem Umfang als beim Abbiegen eines Pkw ohne Hänger versperrt ist.“

Aufgrund des gerichtlichen Hinweises wurde die Berufung zurückgenommen.

Über den Autor:

Rechtsanwalt Klaus Spiegelhalter ist Fachanwalt für Verkehrsrecht in Saarlouis. Rechtsanwalt Spiegelhalter hilft in allen Fragen des Verkehrsrechts insbesondere bei der unbürokratischen Unfallabwicklung (auch per Web-Akte), Bußgeld, Führerscheinproblemen, Punkten in Flensburg usw.

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