Verkehrsrecht Saarlouis: Und wieder einmal ein Türöffner-Fall (OLG Frankfurt – Az.: 9 U 88/22 – Urteil vom 26.09.2023)

Wir hatten vor einigen Jahren bereits mehrfach über sog. Türöffnerfälle berichtet

Siehe z.B.:

https://schadenfixblog.de/2014/12/19/verkehrsrecht-saarlouis-alleinhaftung-bei-unbedachtem-oeffnen-der-fahrertuer-urteil-des-amtsgerichts-saarlouis-vom-10-11-2014/

https://schadenfixblog.de/2010/10/18/vorsicht-haftung-auch-bei-unbedachtem-offnen-der-fahrertur/

Der folgende Fall weicht schon von der Haftungsquote von diesen Fällen erheblich ab.

Das Oberlandesgericht Frankfurt legte eine Haftungsverteilung von 25 Prozent zu Lasten des die Tür öffnendenAutofahrers und 75 Prozent zu Lasten der Radfahrerin fest.

Grund war die Tatsache, dass die Radfahrerin die im Verkehr erforderliche Aufmerksamkeit grob missachtete.

Der Autofahrer versuchte sie durch Zurufe zu warnen. Die Radfahrerin, die zu diesem Zeitpunkt mehrere Fahrzeuglängen entfernt war, reagierte aber erst auf den zweiten Zuruf. Erschrocken führte sie keine Ausweichbewegung mehr durch, sondern kollidierte mit der rechten Außenseite ihres Lenkers mit der Tür.

Aus diesem Grunde haftete der Türöffner nur mit der Quote der Bezriebsgefahr in Höhe von 25%.

Im einzelnen legt das OLG u.a. dar

„Nach informatorischer Anhörung beider Parteien und unter Einbeziehung der beigezogenen Ermittlungsakte steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte zu 2) sein Fahrzeug – einen Marke1 Typ1 – am rechten Rand der rechts neben dem Radweg befindlichen Parkbuchten abstellte, sich rückwärtig absicherte, bevor er die Tür nur wenig – etwa 45 Grad – öffnete, um auszusteigen. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin noch nicht zu sehen. Die Tür des Kompaktwagens ragte wegen des relativ geringen Öffnungswinkels nur geringfügig in den Fahrradweg hinein. Wegen der Position seines Fahrzeuges wird auf Bild 4, Bl. 12 des Originals der Ermittlungsakte (Aktenlasche) Bezug genommen, wo anhand der Position des linken Hinterreifens ersichtlich ist, dass zwischen dem Hinterrad und dem Asphaltbelag des Radweges noch eineinhalb Reihen Pflastersteine und ein Rinnstein mit der Breite eines Gullys (vgl. Bild 3) Platz hatten.

Es steht weiter fest, dass der Beklagte zu 2) infolge einer Bewegungseinschränkung nur langsam aussteigen konnte, wobei er die Füße langsam unter Zuhilfenahme der Hände auf die Straße heben und sich dann hochdrücken musste. Als er auf diese Weise in der um 45 Grad geöffneten Tür zum Stehen gekommen war, wurde er auf die herannahende Klägerin aufmerksam, die sich in diesem Moment etwa auf Höhe der Einfahrt zur nahegelegenen Tankstelle befunden hat und auf eine erste laute Ansprache nicht reagierte, weil sie abgelenkt war und ihr Gesicht seitlich nach links in Richtung der scheinenden Sonne hielt. Sie reagierte erst auf die zweite Ansprache durch den Beklagten zu 2), die erfolgte, als sich auf Höhe der Tankstelle zwischen der Ein- und Ausfahrt – und damit noch mehrere Fahrzeuglängen von dem Beklagtenfahrzeug entfernt – befand. Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass die Klägerin sich durch die von ihr wahrgenommene zweite Ansprache erschrak und infolge einer von ihr zu vertretenden Fehlreaktion und Fehleinschätzung der Situation die erforderliche – nur geringfügige – Ausweichbewegung nicht durchführte, sondern ihre Fahrt so fortsetzte, dass sie mit der rechten Außenseite ihres Lenkers an die Tür prallte, wobei sich diese in der Verankerung verschob und die Klägerin zu Fall kam.

Diesen Unfallhergang hat der Beklagte zu 2) im Rahmen der informatorischen Anhörung glaubhaft, detailreich, ohne Belastungseifer und konsistent zu seinen Angaben im Rahmen er polizeilichen Ermittlungen geschildert. Seine bereits für sich genommen glaubhafte Schilderung lässt sich mit dem Schadensbild an der Autotür, aber auch mit den sonstigen in der Ermittlungsakte enthaltenen Lichtbildern in Einklang bringen. Auch die Klägerin selbst ist seiner Schilderung in den entscheidenden Passagen nicht entgegengetreten, sondern hat im Gegenteil viele Details im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung bestätigt, was dafür spricht, dass beide Parteien sehr um eine wahrheitsgetreue Schilderung des Geschehens bemüht waren. Insbesondere hat die in der Ermittlungsakte auf Bl. 10 enthaltene Einzeichnung als zutreffend bestätigt, auf welcher der Öffnungswinkel der Autotür von etwa 45 Grad erkennbar ist (Original der Ermittlungsakte; in Aktenlasche). Dies ist umso bemerkenswerter, als ihre Prozessbevollmächtigte im Rahmen der Anhörung zu diesem Punkt ersichtlich durch suggestive Zwischenbemerkungen beziehungsweise Zwischenfragen darauf gedrungen hat, dass die Tür möglicherweise doch nahezu vollständig geöffnet gewesen sein könne, was die Klägerin ausdrücklich verneinte, sondern sich dahin festlegte, dass es etwa 45-50 Grad gewesen seien.

Sie hat außerdem eingeräumt, dass sie unachtsam war und zur Seite geschaut hat, wobei sie dies damit begründet hat, dass sie habe schauen wollen, ob sich von hinten ein Auto näherte, was nicht der Fall gewesen sei. Sie hat in diesem Zusammenhang auch freimütig eingeräumt, dass sie allgemein Angst hat, sich während der Fahrt nach hinten umzuschauen, wenn sie Fahrrad fährt (S. 3 unten des Sitzungsprotokolls vom 22.8.2023; Bl. 205 d.A.); dies steht im Einklang mit ihren erstinstanzlichen Angaben, wonach sie sich manchmal erschrickt, wenn große Autos kommen (S. 3 des erstinstanzlichen Sitzungsprotokolls vom 15.9.2022, Bl. 71 d.A.).

Zu dem Aussteigen des Beklagten zu 2) konnte die Klägerin indes keine Angaben machen, weil sie hierzu überhaupt nichts wahrgenommen hat. Dass der Beklagte zu 2) die Autotür plötzlich und unerwartet geöffnet hätte, ohne den rückwärtigen Verkehr zu beachten und schuldhaft den Aussteigevorgang nicht aufgeschoben hätte, um die Klägerin passieren zu lassen, wie es der klägerische Schriftsatz vom 6.4.2022, Bl 60 ff.d.A., impliziert, kann aus ihren Angaben deshalb nicht entnommen werden.

Bei dem festgestellten Geschehensablauf, der sich nicht als typischer Unfall im Zusammenhang mit dem unachtsamen Aussteigen aus einem Fahrzeug, sondern eher als Auffahren des fließenden Verkehrs auf ein feststehendes Hindernis darstellt, ist dem Grunde nach eine Haftungsverteilung von 25 Prozent zu Lasten der Beklagten als Gesamtschuldner und 75 Prozent zu Lasten der Klägerin angemessen, wobei das Gericht auf Seiten des Beklagten zu 2) allein die Betriebsgefahr des Autos mit 25 Prozent in Ansatz bringt (§ 7 StVG) und wegen des überwiegenden Verschuldens der Klägerin ihren Haftungsanteil deutlich höher bewertet (§ 9 StVG i.V.m. § 254 BGB). Denn sie hat sich entgegen § 1 StVO nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit im Straßenverkehr bewegt, indem sie längere Zeit abgelenkt war und nicht nach vorne geschaut hat. Das Maß ihrer Ablenkung wird nicht nur daran deutlich, dass sie den Beklagten zu 2) optisch zunächst nicht wahrgenommen hat, sondern auch daran, dass sie dessen erste Ansprache akustisch nicht vernommen hat. Darüber hinaus hat sie die Situation nach der zweiten Ansprache durch den Beklagten zu 2), wie sie im Grunde selbst eingeräumt hat, falsch eingeschätzt und deshalb in einer ihr vorwerfbaren Weise falsch reagiert. Denn sie hat eine an sich gefahrlos mögliche geringfügige Ausweichbewegung unterlassen und es vorgezogen, eine Kollision mit der Tür in Kauf zu nehmen, weil sie fürchtete, andernfalls vom Radweg nach links auf die Straße abzukommen und dort mit einem Auto zu kollidieren. Wie sie selbst einräumte, hat sie den für möglich gehaltenen rückwärtigen KFZ-Verkehr als größere Gefahr eingeschätzt als die drohende Kollision mit der Tür.

Ihre Einschätzung war allerdings aus mehreren Gründen unzutreffend. Zum einen war ihr aufgrund des unmittelbar vorausgegangenen Schulterblickes bekannt, dass sich auf der Fahrbahn neben oder hinter ihr kein Auto befand, wie sie selbst angegeben hat.

Zum anderen hat sie die Abstände falsch eingeschätzt und verkannt, dass sie nur um wenige Zentimeter – sie selbst sprach von 8 cm – hätte ausweichen müssen, um die stattgehabte Berührung der rechten Außenseite ihres Lenkers mit der Tür zu vermeiden. Angesichts der Parkposition des Autos, der nur geringfügig in den Radweg hineinragenden Tür und der Breite des gut ausgebauten Radwegs ist nicht ersichtlich, dass sie für ein gefahrloses Ausweichmanöver den Radweg überhaupt hätte verlassen müssen.

Ausgehend von dieser Haftungsverteilung steht der Klägerin insgesamt ein Schadensersatz in Höhe von 2.021,64 € …“

 

Über den Autor:

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