Das Problem:
Kommt es an Engstellen – insbesondere wegen auf der Seite geparkter PKW – zu einem Verkehrsunfall, so reagieren Versicherer in aller Regel damit, dass bei Geltendmachung von Schadensersatz, wenn überhaupt eine Zahlung erfolgt, zumindest eine Mithaftung angenommen wird, weil stets unterstellt wird, dass der Unfall für beide Unfallbeteiligte nicht unabwendbar war.
Demgemäß erfolgte auch in einem von uns bearbeitenden Fall – Kollision des PKW unsres Mandanten mit einem Omnibus – während der zuzubilligenden Regulierungsfrist keine Zahlung, weil „die Haftung strittig sei.“
Das Urteil:
Das Landgericht Saarbrücken hat mit dem oben genannten Urteil der Klage vollumfänglich stattgegeben.
U.a. führt das Gericht wie folgt aus:
„Die nach §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 1, Abs. 3 StVG gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, soweit diese sich auf den Unfall ausgewirkt haben.
(…)
Die nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze durchgeführte Abwägung führt vorliegend zu einer vollumfänglichen Haftung der Beklagten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der von dem Beklagten zu 2) geführte Omnibus auf der Fahrspur des Klägers mit dem dort stehenden klägerischen Fahrzeug kollidiert ist.
Dem Beklagten zu 2) ist ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot § 2 Abs. 2 StVO zur Last zu legen.
(…)
Soweit die Beklagten die Auffassung vertreten, der Kläger habe den Unfall dadurch mit verursacht, dass er in die Engstelle gefahren sei und dass es zu dem Unfall nicht gekommen wäre, wenn der Kläger den Beklagten zu 2) hätte passieren lassen, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht.
(…)
Die Engstelle wurde vorliegend gebildet durch jeweils am rechten Fahrbahnrand der Fahrspuren geparkte Fahrzeuge. Eine beidseitige Verengung der Fahrbahn, die dazu führt, dass nur ein Fahrzeug zeitgleich passieren kann, fällt nicht unter § 6 S. 1 StVO.
Die Sorgfaltspflichten beider Fahrer folgen in diesen Fällen vielmehr aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO (Helle in: Freymann/Wellner juris-PK – Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 6 StVO, Rn. 12.). Wenn es erforderlich ist, haben beide Fahrer ihre Geschwindigkeit zu reduzieren, damit sie die seitlichen Sicherheitsabstände gefahrlos auf das Erforderliche verringern können. Unerheblich ist, ob eines der begegnenden Fahrzeuge die Mittellinie der Fahrbahn überfahren muss. Bei genügend Raum zum zeitgleichen Passieren der Engstelle haben sich beide Fahrer die zur Verfügung stehende Breite gleichmäßig zu teilen. Wenn dagegen bei einer beidseitigen Engstelle die Breite nur für ein Fahrzeug reicht, steht demjenigen Fahrzeugführer der Vorrang zu, der die Verengung als erster erreicht (siehe auch Müko StVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 6, Rn. 5, OLG Düsseldorf, OLGR 1991, 14).
Der Sachverständige konnte keine Feststellungen dazu treffen, welches Fahrzeug zuerst an der Engstelle war. Daher können bei der Beurteilung der Frage, ob dem Kläger ein Verkehrsverstoß zur Last fällt, nur unstreitige oder vom Kläger zugestandene Tatsachen herangezogen werden. Der Kläger hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung erklärt, dass zu dem Zeitpunkt, als er auf das vor ihm parkende Fahrzeug zugefahren sei und dann hinterher gehalten habe, der ihm entgegenkommende Bus noch ca. 100-150 m entfernt gewesen sei, wobei der Bus schon in der Mitte der Straße über der mittleren Fahrbahnbegrenzung gefahren sei. Er habe deswegen hinter dem vor ihm parkenden Fahrzeug angehalten, um den Bus vorbei zu lassen.
Bei Zugrundelegung dieser zugestandenen Umstände war indes der Kläger als Erster bei der durch den vor ihm parkenden Pkw und dem auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite geparkten Lieferwagen gebildeten Engstelle, während der Bus zu diesem Zeitpunkt noch ca. 100-150 m entfernt war. Dem Kläger gebührte daher der Vorrang, weshalb der Beklagte zu 2) mit dem von ihm geführten Omnibus zunächst den Kläger hätte passieren lassen müssen.
Auch wenn angenommen wird, dass der Kläger durch sein Anhalten hinter dem vor ihm geparkten Fahrzeug dem Beklagten zu 2) zu erkennen gegeben hat, dass dieser mit seinem Omnibus zuerst die Engstelle passieren solle, ist ein Verkehrsverstoß des Klägers in dieser Situation nicht erkennbar. Dem Beklagten zu 2) hätte es in dieser Situation vielmehr oblegen, zu beurteilen, ob er die Engstelle, die jetzt durch den in seiner Fahrtrichtung am rechten Fahrbahnrand geparkten Lieferwagen und das klägerische Fahrzeug gebildet wurde, gefahrlos passieren konnte; gegebenenfalls hätte er hiervon Abstand nehmen oder sich einweisen lassen müssen.“
Mit dieser Begründung wurde eine Mithaftung abgelehnt.
Das Aktenzeichen werden wir nach Rechtskraft veröffentlichen.
Über den Autor:
Rechtsanwalt Klaus Spiegelhalter ist Fachanwalt für Verkehrsrecht in Saarlouis. Rechtsanwalt Spiegelhalter hilft in allen Fragen des Verkehrsrechts insbesondere bei der unbürokratischen Unfallabwicklung (auch per Web-Akte), Bußgeld, Führerscheinproblemen, Punkten in Flensburg usw.
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