Der BGH hat in dem genannten Urteil ausdrücklich bestätigt, dass die Vorfahrtsregelung rechts vor links auf Parkplätzen grundsätzlich keine Geltung hat.
Dennoch hat es die Entscheidungen der Vorinstanz bestätigt, wonach hier eine Haftungverteilung in Höhe von 70 zu 30 zu Gunsten eines Unfallbeteiligten zugebilligt wurde.
Im Einzelnen begründet der BGH seine Entscheidung unter anderem wie folgt:
„2. Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG – wie im Rahmen des § 254 BGB – Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 8. März 2022 – VI ZR 1308/20, VersR 2022, 722Rn. 8 mwN). Eine Überprüfung der vom Berufungsgericht vorgenommenen Abwägung nach diesen Grundsätzen lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers nicht erkennen. Insbesondere hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision zu Recht in seine Abwägung keinen Verstoß des Beklagten zu 1 gegen die in § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO normierte Vorfahrtsregel „rechts vor links“ eingestellt. Denn diese Regel findet im Streitfall weder unmittelbar noch mittelbar im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO in für das Abwägungsergebnis relevanter Weise Anwendung.
(…)
Der Senat ist der Auffassung, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung findet, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt. Dies ergibt sich aus dem Regelungsgegenstand und dem Zweck der Vorschrift.
(1) Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Dabei muss es sich bei den aufeinanderstoßenden Fahrbahnen um Straßen handeln (vgl. Senatsurteil vom 5. Februar 1974 – VI ZR 195/72, NJW 1974, 949, 950, juris Rn. 9). Die gesetzliche Vorfahrtsregelung soll den zügigen Verkehr auf bevorrechtigten Straßen gewährleisten und damit durch klare und sichere Verkehrsregeln auch der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen (vgl. Senatsurteile vom 27. Mai 2014 – VI ZR 279/13, VersR 2014, 894 Rn. 11; vom 9. März 1971 – VI ZR 137/69, BGHZ 56, 1, 4, juris Rn. 15).
(2) Ein Parkplatz ist dagegen – als Ganzes betrachtet – keine Straße, sondern eine Verkehrsfläche, die – vorbehaltlich spezifischer Regelungen durch den Eigentümer oder Betreiber – grundsätzlich in jeder Richtung befahren werden darf. Parkflächenmarkierungen, die den Platz in Parkplätze und Fahrspuren aufteilen, ändern für sich genommen daran nichts, so dass durch solche Markierungen entstehenden Fahrbahnen – wie allein durch die tatsächliche Anordnung der geparkten Fahrzeuge gebildeten Gassen – kein Straßencharakter zukommt (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 29. April 1977 – 1 U 175/76, juris Rn. 26; OLG Köln, VRS 48, 453, 454 f.; OLG Koblenz, VRS 48, 133, 134; OLG Stuttgart, VRS 45, 313, 314). Die auf Parkplätzen vorhandenen Fahrspuren dienen zudem typischerweise nicht – wie es der Zweckrichtung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO entspräche – der möglichst zügigen Abwicklung des fließenden Verkehrs, sondern der Erschließung der Parkmöglichkeiten durch Eröffnung von Rangierräumen und der Ermöglichung von Be- und Entladevorgängen, wobei die Fahrbahnen regelmäßig sowohl von Kraftfahrern als auch Fußgängern genutzt werden. Eine Bejahung des Straßencharakters und damit eine – dann unmittelbare – Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO kommt daher auf Parkplätzen nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich durch die bauliche Gestaltung der Fahrspuren und die sonstigen örtlichen Gegebenheiten für den Verkehrsteilnehmer unmissverständlich ergibt, dass die Fahrbahnen nicht der Aufteilung und unmittelbaren Erschließung der Parkflächen, sondern in erster Linie der Zu- und Abfahrt und damit dem fließenden Verkehr dienen.
(3) Fehlt es an einem solchen eindeutigen Straßencharakter, kommt auf öffentlichen Parkplätzen auch keine entsprechende oder mittelbare Anwendung der Vorfahrtsregel „rechts vor links“ im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Anders als § 9 Abs. 5 StVO (vgl. dazu Senatsurteile vom 15. Dezember 2015 – VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 Rn. 11; vom 26. Januar 2016 – VI ZR 179/15, NJW 2016, 1100 Rn. 11; vom 11. Oktober 2016 – VI ZR 66/16, NJW 2017, 1175 Rn. 9) enthält die auf den fließenden Verkehr zweckgerichtete Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO keine Wertung, die auf die Situation auf Parkplätzen übertragbar wäre. Der fließende Verkehr ist auf das Vorwärtskommen gerichtet, der Verkehrsfluss soll nach Möglichkeit nicht gestört werden. Dagegen wird, wie schon ausgeführt, auf einem Parkplatz das allgemeine Tempo durch den Park- und Verladebetrieb bestimmt, der einer zügigen Fahrweise entgegensteht. Die auf einem Parkplatz aufgrund der erforderlichen Rücksichtnahme auf ein- und ausparkende Kraftfahrer und die Fahrbahnen nutzende Fußgänger gebotene geringe Geschwindigkeit der Fahrzeuge erfordert keine strengen, automatisch anwendbaren Vorfahrtsregeln. Der Sicherheit ist es in der typischen, durch Ablenkungen von der Beachtung des Verkehrsflusses geprägten Situation auf einem Parkplatz dienlicher, wenn die sich begegnenden Fahrzeuglenker aufeinander Rücksicht nehmen und über die Vorfahrt verständigen müssen (vgl. zu den insoweit vergleichbaren Verhältnissen auf einem nicht öffentlichen Parkplatz Senatsurteil vom 9. Oktober 1962 – VI ZR 249/61, NJW 1963, 152, 153; zum öffentlichen Parkplatz OLG Stuttgart, VRS 45, 313, 314).
Dass diese Verständigung entsprechend der Behauptung des Klägers in der Praxis wohl oftmals entsprechend der eingeschliffenen Regel „rechts vor links“ erfolgen wird und viele Verkehrsteilnehmer von der Geltung dieser Regel auch auf Parkplätzen ausgehen mögen, rechtfertigt es nicht, bei der Konkretisierung der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht nach § 1Abs. 2 StVO dem von links kommenden Kraftfahrer eine höhere Sorgfaltspflicht aufzuerlegen, die sich im Rahmen der Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG zu seinem Nachteil auswirkt (anders OLG Saarbrücken, NJW 1974, 1099, 1100; für Tankstellengelände OLG Köln, NZV 1994, 438, 439, juris Rn. 8). Allerdings muss auf Parkplätzen damit gerechnet werden, dass sich der von rechts kommende Kraftfahrer – irrig – für vorfahrtberechtigt hält. Dies ist aber kein Grund, den von rechts Kommenden zu privilegieren, der seinerseits beachten muss, dass die gesetzliche Vorfahrtsregel auf Parkplätzen grundsätzlich nicht gilt.
b) Nach diesen Grundsätzen kommt im Streitfall ein im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG für die Haftungsverteilung relevanter Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der vom Kläger genutzten Fahrspur kein Straßencharakter zukam. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts befuhr der Kläger im Kollisionszeitpunkt eine sich lediglich durch die Markierungen der Parkflächen ergebende Gasse, die ausschließlich der Parkplatzsuche und dem Rangieren diente.“
Wie dargelegt, wurde die Haftungsquote im Verhältnis 30 zu 70 Prozent aufgeteilt
Zwar waren beide Unfallbeteiligte an der unübersichtlichen Stelle zu schnell gefahren. Der Beklagte aber war deutlich schneller unterwegs als der Kläger und muss deshalb eine höhere Haftung tragen…“
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Das Fachanwaltsprofil von Klaus Spiegelhalter .
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