Verkehrsrecht Saarland: Alleinschuld des Linksabbiegers bei Kollision mit einem Überholer (Urteil des LG Saarbrücken vom 13.11.2020)

Kommt es zu einer Kollision des Überholers mit einem Linksabbieger, so geht die Versicherung des Abbiegenden stets davon aus, dass den Überholer zumindest eine Mithaftung, wenn nicht gar eine Alleinhaftung trifft.

Argumentiert wird stets mit dem „Überholen bei unklarer Verkehrslage“ (§ 5 Abs. 3, Nr. 1 StVO).

Dass dieser Vorwurf keineswegs immer zutrifft, zeigt ein aktuelles Urteil des LG Saarbrücken, mit dem die Schadensersatzansprüche unseres Mandanten – der außergerichtlich zunächst gar keine Zahlung und nach Zustellung des Mahnbescheids lediglich eine Quote von 25% erhalten hatte – aufgrund einer Haftungsquote von 100% zugesprochen wurden.

Das Gericht führt wie folgt aus:

„Die Haftung des Klägers tritt jedoch im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge gegenüber der Haftung der Beklagten zurück. Denn diesen fällt außer der – im Vergleich zu dem Pkw des Klägers höheren – Betriebsgefahr des Gespanns des Beklagten zu 2) auch die Verletzung der Sorgfaltspflichten nach § 9 StVO zur Lasten.

Dabei kann offenbleiben, ob der Beklagte zu 2) beim Abbiegen auf den Waldparkplatz, einer nicht dem fließenden Verkehr dienenden Fläche, hätte die besondere Sorgfaltspflicht beim Abbiegen in ein Grundstück nach § 9 Abs. 5 StVO beachten müssen (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 12.03.2015, 4 U 187/13, MDR 2015, 647, m.w.N. zum Meinungsstand; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.04.2019, I-1 U 108/18, RuS 2020, 101). Denn jedenfalls hat der Beklagte zu 2) beim Abbiegen gegen § 9 Abs. 1 StVO verstoßen.

Nach dieser Vorschrift ist der beabsichtigte Abbiegevorgang unter Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers rechtzeitig anzukündigen, das Fahrzeug muss rechtzeitig deutlich eingeordnet werden – beim Abbiegen nach links bis zur Fahrbahnmitte – und der Abbiegende hat seine doppelte Rückschaupflicht zu beachten, nämlich vor dem Einordnen und erneut vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Ereignet sich – wie hier – ein Unfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Linksabbiegevorgang, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Linksabbieger die ihm nach § 9 Abs. 1 StVO obliegenden Sorgfaltsanforderungen nicht ausreichend beachtet hat (Saarländisches Ober-landesgericht Saarbrücken, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28.11.2019, 12 U 115/17, RuS 2020, 104; OLG Koblenz, Urteil vom 08.06.2020, 12 U 554/19).

Diesen Anschein haben die Beklagten nicht entkräftet.

(…)

Auf Klägerseite ist demgegenüber kein Verschulden feststellbar.

Dass der Kläger, wie von den Beklagten behauptet, mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren wäre, ist nicht nachgewiesen. Der Sachverständige ist von einer Kollisionsgeschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs im Bereich von 35 – 50 km/h ausgegangen; die Ausgangsgeschwindigkeit könne nicht definitiv nachgewiesen werden. Aus technischer Sicht seien sowohl höhere als auch geringere Geschwindigkeiten als die an der Unfallstelle zugelassene Geschwindigkeit von 70 km/h denkbar. Der Beklagte zu 2) hat selbst zugestanden, dass der Kläger die zulässige Geschwindigkeit von 70 km/h wohl eingehalten habe.

 Auch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO – Überholen bei unklarer Verkehrslage – ist nicht gegeben. Denn allein der Umstand, dass der Vorausfahrende seine Geschwindigkeit reduziert, ohne aber sich einzuordnen oder nach links zu blinken – Letzteres ist nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, da die Aussage des Zeugen XXX , er habe den Blinker gehört, zwar die Wahrnehmbarkeit erklärt, nicht aber die Wahrnehmung in der konkreten Situation – begründet keine unklare Verkehrslage (OLG Koblenz, a.a.O.; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, a.a.O.).

Schließlich kann dem Kläger keine Verletzung von § 5 Abs. 2 StVO angelastet werden. Nach Aussage des Zeugen XXX war an der Örtlichkeit ein Überholvorgang durchaus möglich; die nachfolgende Kurve befinde sich in weiterer Entfernung.

 Verbleibt es demnach auf Klägerseite bei der einfachen Betriebsgefahr des Fahrzeuges, so tritt diese gegenüber dem Verkehrsverstoß gegen § 9 StVO – hier zudem in Kombination mit der erhöhten Betriebsgefahr des Gespanns – zurück mit der Folge, dass die Beklagten die alleinige Haftung trifft. Diese Beurteilung ergibt sich aus der besonderen Bedeutung der Sorgfaltspflichten des Linksabbiegers, deren Verletzung besonders schwer wiegt (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, a.a.O.; OLG Koblenz, a.a.O.).

 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Aktenzeichen werden wir zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichen.

Über den Autor:

Rechtsanwalt Klaus Spiegelhalter ist Fachanwalt für Verkehrsrecht in Saarlouis. Rechtsanwalt Spiegelhalter hilft in allen Fragen des Verkehrsrechts insbesondere bei der unbürokratischen Unfallabwicklung (auch per Web-Akte), Bußgeld, Führerscheinproblemen, Punkten in Flensburg usw.

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