Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass ein Befahren der linken Fahrbahn durch einen am fließenden Verkehr teilnehmenden Fahrzeugführer nicht die Verpflichtung eines aus einem Grundstück auf die Straße Einfahrenden beseitigt, dem Verkehr den Vorrang zu gewähren und diesen nicht zu behindern (Urteil vom 20.09.2011, Az.: VI ZR 282/10). In dem zugrunde liegenden Fall begehrte die Klägerin von dem beklagten Land Schadensersatz für ihren beschädigten Pkw. Sie fuhr mit ihrem Pkw auf einer Straße, als der Beklagte zu 1 mit seinem VW-Bus, der bei dem Beklagten zu 2 versichert ist, aus einem Behördengelände abfahrend nach rechts in die Straße einfuhr. Im Bereich der Ausfahrt stießen die beiden Fahrzeuge zusammen. Von dem entstandenen Sachschaden an dem Pkw von € 6.902,02 bezahlte das beklagte Land € 4.537,13 im Hinblick auf eine Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zugunsten der Klägerin. Das Landgericht hat eine Mithaftung der Klägerin von 25 % bejaht und weitere € 642,39 zuzüglich Zinsen zugesprochen und darüber hinaus die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat im Rahmen der Berufung die volle Haftung des beklagten Landes angenommen. Das OLG hat die Revision zum BGH zugelassen, weil die Oberlandesgerichte unterschiedlich geurteilt haben, ob ein Verstoß eines vorfahrtberechtigten Fahrers gegen das Rechtsfahrgebot bei Kollision mit einem die Vorfahrt missachtenden Fahrzeug durch Erhöhung der Betriebsgefahr als Mitverursachungsanteil angenommen werden könne. Das beklagte Land hat mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils verfolgt. Der BGH hat die Revision im Ergebnis verworfen. Das Berufungsgericht habe der Klägerin zutreffend gegen das beklagte Land einen Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gewährt, zumal der Beklagte zu 1 als Landesbediensteter bei der Dienstfahrt ein öffentliches Amt ausgeübt habe. Ihm habe die Beachtung der Verkehrsregeln als Amtspflicht gegenüber den Verkehrsteilnehmern oblegen. Da er bei der Ausfahrt aus dem Behördengrundstück unter Verletzung von § 10 StVO den Vorrang der im Verkehr fahrenden Klägerin nicht beachtet habe, sei es nicht von Belang, wie weit rechts oder links die Klägerin gefahren sei (§ 2 Abs. 2 StVO). Das Verschulden des Beklagten zu 1 überwiege erheblich, wodurch der Verursachungsanteil der Klägerin vollständig zurücktrete. Der BGH hat damit Rechtsklarheit geschaffen. Bei Verkehrsunfällen ist danach zu prüfen, ob der Geschädigte den Unfall hätte vermeiden können, als er erkennen musste, dass der andere Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt missachtet. Dabei ist nach dem BGH zu berücksichtigen, dass dem Geschädigten eine Schrecksekunde ebenso wie eine Reaktions- und Bremsansprechzeit zugute zu halten sind.