Die Strafgerichte bestimmen die Höhe der Strafe. Fahrerflucht ist ein häufig auftretendes Delikt. Häufig ist nur das Kennzeichen des flüchtigen Fahrzeugs bekannt. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wird dann gegen Unbekannt oder gleich gegen den Halter des Fahrzeugs geführt. Nach der ersten Aussage des Halters wird das Verfahren gegen ihn eingestellt und der Halter wird als Zeuge gegen den Fahrer befragt.
Ein aktueller und typischer Sachverhalt aus meiner Kanzlei sieht so aus: Der Geschädigte kommt nach mehreren Stunden zu seinem am Straßenrand geparkten Fahrzeug zurück und er bemerkt eine Beschädigung an seinem Fahrzeug. Er vermutet, dass der vor seinem PKW geparkte Wagen das gegnerische Unfallfahrzeug sei. Die zur Hilfe gerufenen Polizisten stellen fest, dass es sich bei dem anderen Fahrzeug um einen Mietwagen handelt. Die Auskunft bei der Firma ergibt, dass der A das Fahrzeug geliehen hat und als Fahrer in den Unterlagen eingetragen ist. Die Polizei schreibt also den A als Betroffenen an. Dieser antwortet, dass der B zum Tatzeitpunkt gefahren sei. Das Verfahren gegen A wird eingestellt und B wird nun als Betroffener angeschrieben. B lässt sich anwaltlich vertreten. A wird von der Polizei zur Zeugenaussage geladen. A versäumt einen Termin. Die Polizei droht mit einer Ladung von der Staatsanwaltschaft und einer Vorführung.
Das Besondere an diesem Fall ist: A will gegen B keine Zeugenaussage machen. Er knickt aber ein und belastet den B in seiner Aussage. Hätte sich der A gegen eine Zeugenaussage wehren können?
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 2 BvR 510/96 vom 16.11.1998) hatte in einem ähnlichen Fall zu entscheiden. Dort wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Fahrzeughalter wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Halter das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalles selbst gefahren ist. Der Halter hatte zuvor erklärt, dass er den Namen des Fahrers kenne. Dieser sei mit ihm weder verwandt noch verschwägert. Er wolle aber keine weiteren Angaben machen. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Vernehmung des Halters durch den Ermittlungsrichter. Der Halter wollte immer noch keine Aussage machen und der Ermittlungsrichter ordnete Beugehaft an. Die Beschwerde beim Landgericht blieb erfolglos. Mit der Verfassungsbeschwerde hatte der Halter jedoch Erfolg.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Strafgerichte bei ihrer Entscheidung über das Vorliegen eines Aussageverweigerungsrechts hätten in Betracht ziehen müssen, dass die erste Erklärung des Halters nur eine Schutzbehauptung war. Das Landgericht hätte die erste Aussage des Halters genauer prüfen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hob die Anordnung der Beugehaft auf und verwies die Sache zurück an das Landgericht.
Hätte sich der A nun gegen eine Zeugenaussage wehren können? Ja!
Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Entscheidung weiter aus, dass nach der strafrechtlichen Rechtsprechung die Möglichkeit einer Bejahung und einer Verneinung der an den Zeugen gerichteten Frage in gleicher Weise in Betracht gezogen werden muss. Bringt auch nur eine dieser Möglichkeiten den Zeugen in die Gefahr einer Strafverfolgung (Stichworte: Strafe / Fahrerflucht), ist die Auskunftsverweigerung berechtigt.
Die Frage an den Zeugen A könnte lauten: Ist der B zum Tatzeitpunkt mit dem Wagen gefahren? Wenn der Zeuge diese Frage mit nein beantwortete, hätte er den B vorher falsch belastet und er würde sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen.
Die Frage an den Zeugen A könnte lauten: Sind Sie selbst zum Tatzeitpunkt mit dem Wagen gefahren? Wenn der Zeuge diese Frage mit ja beantwortete, würde er sich offensichtlich der Strafverfolgung aussetzen.
Die Frage an den Zeugen A könnte lauten: Wer ist zum Tatzeitpunkt mit dem Wagen gefahren? Diese Frage ließe sich nicht mit ja oder nein beantworten. Da der A aber als Beschuldigter geführt wurde und er auch als Fahrer in Frage käme, bräuchte er diese Frage nicht zu beantworten.
Es kommt dabei nicht auf den objektiv wahren Sachverhalt an. Das Auskunftsverweigerungsrecht steht nicht nur den echten Schuldigen zu. Ansonsten würde der Zeuge bei Gebrauch dieses Rechts einen Verdachtsgrund gegen sich selbst liefern, was dem Schutzzweck der Normen zuwider liefe.
Ich habe hier bewusst ausgelassen, ob der A oder der B gefahren ist. Darauf kommt es nicht an. Im konkreten Fall kam es zur Aussage des A gegen den B. Diese war für B nicht weiter schädlich und das Verfahren wurde aus anderen Gründen eingestellt. Der Fall wurde jetzt zu einer kleinen Übungsaufgabe für meinen Referendaren.
Falls Sie in einer ähnlichen Situation sind, lassen Sie sich anwaltlich beraten. Ein Rechtsanwalt kann in vielen Fällen eine Einstellung des Verfahrens oder eine Abmilderung der Strafe (Fahrerflucht) erreichen.
Weitere Informationen: Buch zum Thema Fahrerflucht