Manchmal ist es wichtig und richtig, Ungereimtheiten in einem Sachverständigengutachten auf den Grund zu gehen.
Alles begann wie ein ganz gewöhnliches Mandat nach einem Verkehrsunfall. Die Mandantin fuhr mit ihrem Fahrrad in falscher Richtung auf dem Radweg. Am Fußgängerüberweg wollte sie die Straße überqueren und stieß dabei mit einem abbiegenden Kfz zusammen. Die Mandantin verletzte sich. Fahrrad und Kfz wurden beschädigt. Es folgten drei Mandate: Bußgeldsache gegen Mandantin, Schadensersatz für Mandantin und Abwehr der gegnerischen Schadensersatzansprüche. Mandantin hatte weder Haftpflicht- noch Rechtsschutzversicherung.
Die Sach- und Rechtslage war nicht weiter schwer und ich empfahl der Mandantin, den gegnerischen Schaden zu einer Quote von 1/2 zu zahlen. Als Beweis für den an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden legte der Gegner ein zweifelhaftes Gutachten vor. Ich korrigierte die fragwürdigen Positionen und rechnete für meine Mandantin den Schaden ab.
Der Gegner wollte jedoch mehr und klagte seine Restforderung vor dem Amtsgericht Mitte (103 C 3128/06) ein. Dort legte er erneut das Gutachten vor und ich teilte dem Gericht meine Bedenken mit. Der Unfall ereignete sich am 11.09.2005 gegen 20:45 Uhr. Das Gutachten enthielt zwei verschiedene Daten bezüglich der Begutachtung und der Anfertigung: 16.09.2005 und 23.03.2006. Das ist unüblich. In der Regel werden Gutachten kurz nach dem Erstellen der Fotos angefertigt. Darüber hinaus konnte man sich darüber streiten, ob die TÜV-Plakette am Fahrzeug des Klägers grün oder blau war. Je nach Farbe hätte man einen Zeitraum bestimmen können, in dem das Fahrzeug fotografiert worden ist.
Das Gericht lud den Sachverständigen als Zeugen, um die von mir aufgeworfenen Fragen zu klären. Ein erster Termin musste verschoben werden, weil der Sachverständige auf einem Lehrgang war und die Vereidigung als Sachverständiger geplant war. Der Zeuge erklärte im Termin, dass er für den Vater des Klägers arbeite und aus Gefälligkeit am 16.09.2005 die Fotos kostenlos angefertigt und dann am 23.03.2006 des Gutachten erstellt habe. Der Zeuge gab an, dass er nur am 16.09.2005 Fotos vom Fahrzeug des Klägers gemacht habe und er versprach, die Dateien dem Gericht zu schicken. Nach der Zeugenaussage waren sich alle Juristen einig, dass diese Zeugenaussage glaubhaft war.
Der Zeuge schickte die Dateien ins Gericht und ich machte mir Kopien. Die Dateien speichern eine Reihe von Informationen. So auch das Datum der Aufnahmen: 23.03.2006. Damit hatte ich den ersten Beweis dafür, dass der Sachverständige vor Gericht nicht die Wahrheit gesagt hatte. Ich teilte diesen Umstand dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, um die Angelegenheit still und leise zu erledigen. Der Kläger wollte aber die Klage fortsetzen und auch der Sachverständige blieb bei seiner Version.
Nun war auf den eingereichten Bildern nicht nur das Fahrzeug des Klägers zu sehen. Man konnte auch ein relativ neu wirkenden Golf mit Kennzeichen erkennen. Eine Anfrage bei der Zulassungsstelle ergab, dass dieser Golf erstmals am 31.10.2005 zugelassen wurde. Damit gab es nun einen unumstößlichen Beweis dafür, dass der Sachverständige vor Gericht gelogen hatte. Meine Behauptungen wurden dann auch durch ein gerichtlich in Auftrag gegebenes Gutachten der Unfallanalyse Berlin bestätigt.
Dieser Sachverständige war offensichtlich ein professioneller Lügner. Drei Juristen, die täglich mit der Bewertung von Zeugenaussagen zu tun haben, sind auf den Zeugen in seiner Befragung hereingefallen. Alle hielten die Aussage für glaubhaft. Nur weil der Sachverständige die Juristen für blöd hielt und damit freizügig die Dateien herausrückte, flog der Schwindel auf.
Die Klage über ca. 1.850 EUR wurde abgewiesen und der Widerklage auf Rückzahlung des außergerichtlich von meiner Mandantin an den Kläger gezahlten Schadensersatzes wurde statt gegeben. Der Kläger und der Sachverständige mussten sich einem Strafverfahren stellen. Der Sachverständige ist heute nicht mehr zu finden.
Ich hatte vorher mit der gegnerischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vereinbart, dass wir die Schadensregulierung für meine Mandantin am Ausgang des Prozesses des Klägers orientieren. Die Mandantin erhielt so 100% ihres Schadensersatzes.
Weitere Informationen: Buch zum Thema Fahrerflucht