Verkehrsrecht Saarland: Aufzeichnung einer Webcam kann im Einzelfall als Beweismittel zulässig sein (Saarländisches OLG, Urteil vom 13.10.2022 – 4 U 111/21)

Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass in einem Verkehrsunfallprozess im Einzelfall Mitschnitte einer Kamera Dritter zur Klärung des Unfallhergangs herangezogen werden können. Das gilt auch dann, wenn sich eine der beteiligten Parteien vor Gericht dagegen ausspricht.

U.a. führt das Gericht wie folgt aus;

„Hierbei sind dem Landgericht, anders von der Klägerin mit ihrer Zweitberufung gerügt, keine Verfahrensfehler unterlaufen; insbesondere durfte es, dem Beweisantrag der Beklagten folgend, die von der Webcam der Firma C. V.B aufgezeichnete Aufnahme des Verkehrsunfalls verwerten, obwohl die Klägerin dem widersprochen hat:
(1)
§ 286 ZPO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise vollständig zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96 -, BVerfGE 106, 28, juris Rn. 60; BGH, Urteil vom 01.03.2006 – XII ZR 210/04 -, BGHZ 166, 283-291, juris Rn. 25; Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 286 Rn. 15a). Geht mit der Beweisgewinnung ein Gesetzesverstoß einher (Beweiserhebungsverbot), folgt hieraus noch nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot. Die Verwertung eines vom Gericht erhobenen Beweises hat immer dann zu unterbleiben, wenn dies ein Gesetz ausdrücklich anordnet (z. B. § 51 Abs. 1 BZRG hinsichtlich getilgter oder tilgungsreifer Verurteilungen, vgl. BGH, Urteil vom 11.02.1998 – IV ZR 306/96 -, juris Rn. 14; § 7 Abs. 2 Satz 2, 3 AutobahnmautG in der Fassung vom 22.12.2008 für Aufzeichnungen der Erfassungsanlagen; vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 286 Rn. 15a). In allen anderen Fällen gilt im Ansatz ebenso wie im Strafrecht die sog. Abwägungslösung. Die beeinträchtigten Rechte des Gegners – häufig das allgemeine Persönlichkeitsrecht – sind mit denjenigen des Beweispflichtigen abzuwägen. Auf letzterer Seite stehen das Interesse an einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege, die Garantie der privaten Rechtsdurchsetzung und das durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützte Recht auf Beweis und damit das Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung (Schmidt in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 36 Rn. 5). Die aus einer unzulässigen Beweiserhebung gewonnenen Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden, wenn die Beweiserhebung ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht einer Partei verletzt hat, ohne dass dies zur Gewährleistung eines im Rahmen der Güterabwägung als höherwertig einzuschätzenden Interesses der anderen Partei oder eines anderen Rechtsträgers nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt erscheint (BGH, Urteil vom 01.03.2006 – XII ZR 210/04, BGHZ 166, 283, 290; MK/Prütting, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 284 Rn. 65, 67). Dabei kommt der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege und deren Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung als wichtigem Belang des Gemeinwohls erhebliches, aber nicht allein ausschlaggebendes Gewicht zu; im Zivilprozess kommt es vor allem auch auf die Bedeutung des Beweismittels für die Rechtsverwirklichung einer Partei an; ein (stets gegebenes) „schlichtes Beweisinteresse“ genügt nicht (BVerfG, Beschluss vom 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96 -, BVerfGE 106, 28, juris Rn. 61; BAG, Urteil vom 27.03.2003 – 2 AZR 51/02 -, BAGE 105, 356-365, juris Rn. 27; Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 286 Rn. 15a). Eine gegen einfaches Recht (z.B. BetrVG, DSGVO, BDSG) verstoßende Beschaffung oder Benutzung von Beweismitteln begründet nicht per se ein Verwertungsverbot (BAG, Urteil vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/06 -, juris Rn. 32; BAG, Urteil vom 28.03.2019 – 8 AZR 421/17 -, juris Rn. 27).
(2)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – betreffend einen Fall vor Inkrafttreten der DSGVO (vgl. hierzu Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO) – verstößt die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens durch einen Unfallbeteiligten mittels einer sogenannten „Dash-Cam“ gegen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), so dass ein Beweiserhebungsverbot vorliegt. Dieses führt indes im Ergebnis nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Soll die Aufzeichnung zur Aufklärung eines Unfallhergangs dienen, überwiegt das Interesse des Beweispflichtigen an einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege und an einer materiell richtigen Entscheidung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Unfallgegners in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in das durch die Videoaufzeichnung eingegriffen wurde (Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17, BGHZ 218, 348 Rn. 39 ff.). Hierbei hat es der Bundesgerichtshof insbesondere für maßgeblich erachtet, dass der Unfall- und Prozessgegner lediglich in seiner Sozialsphäre betroffen ist; dieser habe sich durch seine Teilnahme am Straßenverkehr in die Öffentlichkeit begeben, so dass er mit der Wahrnehmung seines Verhaltens durch Dritte stets habe rechnen müssen (anders als etwa in den genannten Fällen des Eingriffs in das Recht am gesprochenen Wort). Zu berücksichtigen sei ferner die den Geschädigten aufgrund der Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens treffende Beweisnot sowie der Umstand, dass sich der Inhalt einer Dash-Cam-Aufzeichnung auch zugunsten des in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffenen Gegners auswirken könne. Auf Seiten des Geschädigten sei indes nicht nur sein Interesse an einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege betroffen, sondern auch sein Eigentumsinteresse (Art. 14 GG) sowie sein (der Sache nach stets vorliegendes) Interesse an der Findung der materiellen Wahrheit bis hin zur Vermeidung eines Prozessbetrugs. Weiterhin seien an dem Unfallgeschehen nicht beteiligte, aber von der Aufzeichnung ebenfalls erfasste Dritte durch die Regelungen des BDSG (Ordnungswidrigkeiten- und Straftatbestände) ausreichend geschützt, und die Eindämmung des Einsatzes von Dash-Cams, welche bei Zulässigkeit der Aufzeichnungsverwertung möglicherweise sogar noch zunehme, sei nicht Aufgabe des Zivilprozesses in Form der Annahme eines Beweisverwertungsverbots. Schließlich zeige gerade die Regelung des § 142 StGB, welche den Unfallgegner zwecks Wahrung des Beweissicherungsinteresses zur Preisgabe von Daten zwinge, dass den entsprechenden Interessen des Geschädigten ein besonderes Gewicht beigemessen werde. Diese Grundsätze gelten nach der Auffassung des Senats auch nach Inkrafttreten der DSGVO fort, so dass solche Aufzeichnungen weiterhin nach diesem Maßstab verwertbar sind (so auch Schmidt in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kapitel 36 Rn. 5).
(3)
Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch im vorliegenden Fall die Frage der Verwertbarkeit – im Wege der richterlichen Inaugenscheinnahme, § 371 Abs. 1 ZPO – der von der streitgegenständlichen Webcam gespeicherten Aufzeichnung des Unfallgeschehens. Ob diese gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstößt, hat das Landgericht letztlich offengelassen. Es sind auch keine Feststellungen dazu getroffen worden, aus welchem Anlass und in welchem Umfang die unmittelbar an dem Kreisverkehr ansässige Firma zumindest auch den öffentlichen Verkehrsraum mittels der Webcam aufgezeichnet hat. Die Beklagten haben dazu lediglich pauschal vorgetragen, diese habe „die datenschutzrechtlichen Genehmigungen“ erhalten (Blatt 115). Ob dies jedoch auch die anlasslose Aufzeichnung nicht nur des eigenen Firmengeländes, sondern des öffentlichen Straßenraums umfasst, erscheint zweifelhaft (vgl. § 6 DSGVO). Dies kann jedoch, weil jedenfalls ein gesetzlich angeordnetes Beweisverwertungsverbot nicht vorliegt, im Ergebnis dahinstehen. Das Landgericht hat zutreffend die vom Bundesgerichtshof für Dash-Cam-Aufnahmen des Beweisführers selbst aufgestellten Grundsätze herangezogen und darauf abgestellt, dass der Geschäftsführer der Klägerin lediglich in seiner Sozialsphäre betroffen sei, weil das Geschehen sich im öffentlichen Straßenraum abspiele, in den er sich freiwillig begeben habe; zu berücksichtigen sei auch die der Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens geschuldete besondere Beweisnot des Unfallgegners. Es hat ferner darauf hingewiesen, dass ein etwaiger Verstoß gegen (den allerdings bereits zum 25.05.2018 außer Kraft getretenen) § 6b BDSG nicht der Beklagten, sondern allenfalls der Firma C. V.B anzulasten wäre; dem Rückgriff auf fremde Videoaufzeichnungen, welche auch nicht vom Beweisführer veranlasst worden seien, könne unter keinem Gesichtspunkt ein Beweisverwertungsverbot entgegenstehen.
(4)
Gegen diese jedenfalls im Ergebnis vom Senat geteilten Erwägungen bringt die Klägerin im Berufungsverfahren keine substantiellen Einwände vor. Wie ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, geht es der Klägerin nicht um etwaige höher zu gewichtende Persönlichkeitsrechte, sondern um den nach ihrer Einschätzung begrenzten Beweiswert, weil es sich nicht um eine fortlaufende Videoaufzeichnung handele sondern nur um eine Aneinanderreihung zeitlich unterbrochener Einzelaufnahmen. Insbesondere zweifelt die Klägerin die Aussagekraft der Aufzeichnungen an mit Blick auf die Entfernung zwischen den beiden Einmündungen und die vom Sachverständigen daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Diese Einwände sind im Rahmen der Würdigung des Beweismittels zu berücksichtigen, begründen indes keine Umstände, die zu einer generellen Unverwertbarkeit im obigen Sinne führen könnten.“

Das Urteil ist veröffentlicht unter:

https://openjur.de/u/2462156.html

Über den Autor:
Rechtsanwalt Klaus Spiegelhalter ist Fachanwalt für Verkehrsrecht in Saarlouis. Rechtsanwalt Spiegelhalter hilft in allen Fragen des Verkehrsrechts insbesondere bei der unbürokratischen Unfallabwicklung (auch per Web-Akte), Bußgeld, Führerscheinproblemen, Punkten in Flensburg usw.

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