Vorfahrtsverletzung oder Auffahrunfall? (Urteil des LG Augsburg vom 03.04.2023)

Der Fall:

Die Fahrerin des Fahrzeuges unserer Mandantschaft befuhr eine Vorfahrtsstraße, auf die sie wenige Augenblicke zuvor eingefahren war, als der hinter ihr fahrende Rettungswagen (RTW)
das Blaulicht und Martinshorn einschaltete. Hierauf fuhr die Fahrerin unter Verlangsamung ihrer Geschwindigkeit zum rechten Fahrbahnrand, um dem RTW das Überholen zu ermöglichen, wobei dieses jedoch auffuhr.

Das Problem:

Die Haftpflichtversicherung des RTW war lediglich bereit, 25% des Schadens zu übernehmen und berief sich auf einen angeblichen Vorfahrtsverstoß unserer Mandantin.

Das Ergebnis:

Das LG Augsburg hat unserem Mandanten – auch nach Anscheinsgrundsätzen – überwiegend Recht gegeben und eine Haftungsquote von 75 zu 25 zu Gunsten unserer Mandantschaft festgesetzt.

U.a. führt das Gericht wie folgt aus:

Eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge gem. §§ 17 II, 18 III StVG führt zu einer Haftungsquote von 75 % zu Lasten der Beklagten. Bei dieser Abwägung sind Verursachungsbeiträge nur insoweit zu berücksichtigen, als sie zulasten des jeweiligen Unfallbeteiligten nachgewiesen sind.
2.1. Die Beklagte zu 2 hat den Unfall verursacht durch einen schuldhaften Verkehrsverstoß. Sie hat infolge Unaufmerksamkeit zu spät reagiert (Verstoß gegen § 1 II StVO), keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten (§ 4 I 1 StVO) oder ist zu schnell gefahren (§ 3 Abs. 1 StVO).
Diese Feststellung beruht auf den Regeln des so genannten Anscheinsbeweises bei Auffahrun- fällen. Unstreitig ist der Rettungswagen auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren. Nach der Beweisaufnahme steht auch fest, dass der Abbiegevorgang bereits abgeschlossen war, als der Rettungswagen auf den PKW auffuhr.
Dafür spricht bereits die Kollision im Heckbereich des klägerische Fahrzeug am Heck….

Im Zusammenhang mit der heckseitigen 50-prozentigen Überdeckung hat der Sachverständige überdies nachvollziehbar anhand der Lichtbilder festgestellt, dass die Überdeckung am linken Ende des Audi Emblems beginne. Diese Feststellung ist darüber hinaus eine Bestätigung für die Richtigkeit der Angabe der Klagepartei bzw. der Zeugin (…) Meinung, dass sie, als sie das Martinshorn des Rettungswagens gehört habe, so weit wie möglich nach rechts gefahren sei.

Eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt zu einer 75 % Haftung der Beklagten. Das Geschehen stellt sich – nach dem Sachverständigengutachten aufgrund der ausreichend guten Sichtverhältnisse für beide Fahrer – für keinen der Unfallbeteiligten als ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG dar.
Als Idealfahrer wäre die Beklagte zu 1 aufmerksamer, langsamer oder mit größerem Sicherheitsabstand gefahren und hätte dann die Kollision vermeiden können. Bezeichnnerweise hat der Zeuge (…) geschildert, dass die Bremsung der Beklagten zu 2 ausgereicht hätte, wenn es vielleicht noch 5 m mehr gewesen wäre.
Als Idealfahrerin wäre die Zeugin (…) beschleunigt weitergefahren bzw. nach Rechts gefahren.
Das Verschulden des auffahrenden Kraftfahrzeugführers ist als erheblicher anzusehen. Das Verschulden der Zeugin (…) tritt dahinter aber nicht zurück.“

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Das Aktenzeichen werden wir zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichen.

Über den Autor:

Rechtsanwalt Klaus Spiegelhalter ist Fachanwalt für Verkehrsrecht in Saarlouis. Rechtsanwalt Spiegelhalter hilft in allen Fragen des Verkehrsrechts insbesondere bei der unbürokratischen Unfallabwicklung (auch per Web-Akte), Bußgeld, Führerscheinproblemen, Punkten in Flensburg usw.

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