Haf­tungs­ver­tei­lung bei Park­plat­zun­fäl­len

Park­plat­zun­fäl­le sind für die Be­tei­lig­ten in der Re­gel be­son­ders är­ger­li­ch, da die Ver­si­che­rer oft­mals oh­ne nä­he­re Be­grün­dung le­dig­li­ch 50 % des gel­tend ge­mach­ten Scha­dens re­gu­lie­ren und nur dar­auf ver­wei­sen, dass ge­ra­de auf Park­plät­zen er­höh­te Sorg­falts­an­for­de­run­gen an al­le Ver­kehrs­teil­neh­mer ge­stellt wer­den. Hin­zu kommt dann no­ch, dass auch die Ge­gen­sei­te 50 % des ihr ent­stan­de­nen Scha­dens gel­tend macht und da­mit re­gel­mä­ßig ei­ne Rück­stu­fung in der Kraft­fahrt­haft­pflicht­ver­si­che­rung (KH) ein­her­geht. Den Ein­wand, man wä­re vor der Kol­li­si­on no­ch zum Ste­hen ge­kom­men und man kön­ne “si­ch ja schließ­li­ch nicht in Luft auf­lö­sen”, hat man bis­her im Ge­richts­saal eben­so we­nig gel­ten las­sen wie den­je­ni­gen des ge­tun­nel­ten Ver­tei­di­gers ge­gen­über dem schwung­voll auf­lau­fen­den Stür­mer auf dem Fuß­ball­platz. Foul!

Auch die Ober­ge­rich­te ha­ben re­gel­mä­ßig ei­ne Haf­tungs­ver­tei­lung 1 : 1 vor­ge­nom­men und die Pra­xis der KH-Versicher ex­pli­zit ge­bil­ligt. Be­grün­dung: Ge­ra­de dann, wenn si­ch der Un­fall in ei­nem en­gen zeit­li­chen und räum­li­chen Zu­sam­men­hang mit dem Zu­rück­set­zen ei­nes Kraft­fahr­zeu­ges er­eig­net hat, soll­te es nicht dar­auf an­kom­men, ob das zu­rück­set­zen­de Fahr­zeug vor der Kol­li­si­on no­ch zum ste­hen kam. Nur dann, wenn das zu­nächst zu­rück­set­zen­de Fahr­zeug be­reits län­ge­re Zeit vor der Kol­li­si­on ge­stan­den ist, soll­te der ge­gen den rück­wärts Fah­ren­den spre­chen­de An­scheins­be­weis nicht mehr grei­fen. Die­ser Um­stand war je­doch re­gel­mä­ßig kaum zu be­wei­sen, zu­mal die ge­richt­li­ch be­stell­ten Sach­ver­stän­di­gen auf­grund des — mit Bli­ck auf die re­gel­mä­ßig ge­rin­gen Ge­schwin­dig­kei­ten — nicht son­der­li­ch aus­ge­präg­ten Scha­dens­bil­des oft be­reits nicht fest­stel­len konn­ten, dass ein Fahr­zeu­ge über­haupt stand, ge­schwei­ge denn wie lan­ge.

Die­se Rechts­pra­xis hat der Bun­des­ge­richts­hof nun­mehr mit zwei Ent­schei­dun­gen be­en­det. Den Ent­schei­dun­gen la­gen die klas­si­schen Kon­stel­la­tio­nen bei Park­plat­zun­fäl­len zu Grun­de:
(1) Zwei aus ge­gen­über­lie­gen­den Park­buch­ten je­weils aus­par­ken­de Fahr­zeu­ge sto­ßen zu­sam­men (BGH Ur­teil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15).
(2) Ein Fahr­zeug setzt aus ei­ner Park­lü­cke zu­rück und stößt mit ei­nem zwi­schen den Park­rei­hen fah­ren­den Kfz zu­sam­men (BGH Ur­teil vom 26. Ja­nu­ar 2016 – VI ZR 179/15).

Fol­gen­de Punk­te hat der Bun­des­ge­richts­hof mit den bei­den vor­ge­nann­ten Ent­schei­dun­gen her­aus­ge­ar­bei­tet:
– § 9 Abs. 5 StVO ist auf Park­plät­zen oh­ne ein­deu­ti­gen Stra­ßen­cha­rak­ter nicht un­mit­tel­bar an­wend­bar. Al­ler­dings fin­det die­se Vor­schrift mit­tel­bar An­wen­dung über § 1 StVO, da auf Park­plät­zen stets mit aus­par­ken­den und rück­wärts fah­ren­den Fahr­zeu­gen zu rech­nen ist. Von da­her müs­sen die Kraft­fah­rer so vor­sich­tig fah­ren, dass sie je­der­zeit an­hal­ten kön­nen.
– Ein An­scheins­be­weis zu­las­ten des rück­wärts Fah­ren­den kann nur dann an­ge­nom­men wer­den, wenn fest­steht, dass si­ch die­ser im Zeit­punkt der Kol­li­si­on no­ch in Rück­wärts­be­we­gung be­fand. Es ge­nügt vor al­lem nicht, den si­ch die Kol­li­si­on nur in ei­nem en­gen räum­li­chen und zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit dem Rück­wärts­fah­ren er­eig­net hat.

Mit die­ser recht­li­chen Ein­ord­nung wird den bis­her vor­ge­nom­me­nen Haf­tungs­tei­lun­gen ei­ne deut­li­che Ab­sa­ge er­teilt. Ei­ne zwangs­läu­fi­ge voll­stän­di­ge Haf­tung des rück­wärts Fah­ren­den ist da­mit den­no­ch nicht ver­bun­den. Ge­ra­de au­ßer­halb des flie­ßen­den Ver­kehrs kann nicht grund­sätz­li­ch da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass das Ver­schul­den des rück­wärts­fah­ren­den der­art über­wiegt, dass je­de Haf­tung des an­de­ren Ver­kehrs­teil­neh­mers aus der Be­triebs­ge­fahr sei­nes Kraft­fahr­zeu­ges zu­rück­tritt.

Be­haup­ten bei­de Ver­kehrs­teil­neh­mer be­reits vor der Kol­li­si­on ge­stan­den zu ha­ben, dürf­te auch künf­tig ei­ne Haf­tungs­ver­tei­lung von 1 zu 1 der Re­gel­fall blei­ben: Zeu­gen­aus­sa­gen un­be­tei­lig­ter Drit­ter sind er­fah­rungs­ge­mäß eher un­er­gie­big (in der Re­gel han­delt es si­ch um sog. Knall­zeu­gen) und die Aus­sa­gen der In­sas­sen der be­tei­lig­ten Fahr­zeu­ge sind – zu­mal es si­ch oft­mals um Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ge han­delt – zu­min­dest sehr kri­ti­sch zu wür­di­gen. Auch die Er­ho­lung ei­nes un­fal­l­ana­ly­ti­schen Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens kann die Gret­chen­fra­ge (Wer stand, wer fuhr?) eben­so re­gel­mä­ßig nicht mit der nö­ti­gen Si­cher­heit be­ant­wor­ten. Maß­geb­li­ch für die Über­zeu­gungs­bil­dung des Ge­richts in­so­weit ist der Maß­stab des §§ 286 ZPO, mit­hin muss ein so ho­her Grad an Wahr­schein­lich­keit er­reicht wer­den, dass ver­nünf­ti­gen Zwei­feln Schwei­gen ge­bo­ten wird, oh­ne sie je­doch in letz­ter Kon­se­quenz aus­zu­schlie­ßen. Da­für gibt das Scha­dens­bild der Be­tei­lig­ten Fahr­zeu­ge in den al­ler­meis­ten Fäl­len nicht ge­nü­gend her.

Be­haup­tet da­ge­gen nur ein Ver­kehrs­teil­neh­mer, er wä­re no­ch recht­zei­tig vor der Kol­li­si­on zum ste­hen ge­kom­men, dürf­te künf­tig von der al­lei­ni­gen oder zu­min­dest deut­li­ch über­wie­gen­den Haf­tung des no­ch in Be­we­gung be­find­li­chen Un­fall­geg­ners aus­zu­ge­hen sein. Wei­te­res dürf­te dann eben­falls nicht auf­klär­bar sein (sie­he oben) und da­mit kann ge­gen den Ver­kehrs­teil­neh­mer, der nach sei­ner Be­haup­tung no­ch recht­zei­tig zum ste­hen kam, kein An­scheins­be­weis mehr an­ge­nom­men wer­den, selbst wenn si­ch die Kol­li­si­on un­strei­tig in ei­nem en­gen räum­li­chen und zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit ei­nem vor­aus­ge­gan­ge­nen Rück­wärts­fah­ren er­eig­net hat.

 

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Michael Schmidl, anwaltschmidl.de

Der Autor ist Rechtsanwalt und Gründer der Fachanwaltskanzlei für Versicherungs- und Verkehrsrecht Schmidl. Er ist seit 2005 Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht.

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