Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) hat mit Urteil vom 18.05.2012 (Az.: 9 U 128/11) über die Haftungsquote bei Kollision eines vorbeifahrenden Pkw mit einer Fußgängerin, die in ihr geparktes Fahrzeug einsteigen will, entschieden. Im Fall wurde über die Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach einem Verkehrsunfall gestritten, bei dem die Klägerin beim Einsteigen in ihr am Fahrbahnrand geparktes Auto vom rechten Außenspiegel des vorbeifahrenden Beklagten gestreift wurde. Die Klägerin machte geltend, dass sie von dem Fahrzeugspiegel im Bereich des Beckens und der rechten Hüfte heftig gerammt und gegen ihr eigenes Fahrzeug gedrückt worden sei. Sie sei erheblich verletzt worden und leide dauerhaft unter einer Angststörung. Dagegen wurde eingewandt, dass die Klägerin am Unfall mitschuldig sei und nicht schwer verletzt worden sei. Sie hätte ihr Fahrzeug an der betreffenden Stelle gar nicht hätte parken dürfen. In erster Instanz wurde die Beklagte verurteilt, u.a. zur Zahlung eines geringen Schmerzensgeldes. Beide Parteien legten Berufung ein. Das OLG erhöhte sodann das Schmerzensgeld auf insgesamt 10.000,00 €. Der Umstand, dass die Klägerin – statt komplett auf der Straße zu parken, was an dieser Stelle erlaubt war – teilweise auf dem Gehweg parkte, kann ihr nicht vorgeworfen werden. Das Verbot des Parkens auf dem Gehweg diene aber allein dem Schutz der Benutzer des Gehwegs, und nicht dem Schutz von auf der Straße vorbeifahrenden Kraftfahrzeugen. Auch hat die Klägerin nicht gegen § 14 Abs. 1 StVO (Sorgfaltspflichten beim Ein- und Aussteigen) verstoßen. Das OLG dazu: „sie ist zwar auf die Fahrbahn getreten – neben die Fahrertür ihres geparkten Fahrzeugs -, um einzusteigen. Dadurch hat sie jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten keine Pflichten im Straßenverkehr verletzt. Um in ihr Fahrzeug einzusteigen, blieb der Klägerin keine andere Möglichkeit, als auf die Straße zu treten und zur Fahrertür ihres Pkws zu gehen. (…) Dass Fahrzeuge an ihrem geparkten Pkw vorbeifahren wollten, konnte die Klägerin mithin erst zu einem Zeitpunkt erkennen, als sie sich bereits neben ihrem eigenen Fahrzeug befand. Zu diesem Zeitpunkt blieb ihr keine andere Möglichkeit mehr, als sich eng an ihren Pkw zu drücken, um ein Vorbeifahren der anderen Fahrzeuge zu ermöglichen. (…) Ein Mitverschulden käme eventuell dann in Betracht, wenn die Klägerin zu einem Zeitpunkt die Straße betreten hätte, als sie bereits das herannahende Fahrzeug (…) hätte erkennen können. Denn dann wäre es ratsam gewesen, zunächst das Fahrzeug (…) passieren zu lassen.“ Da auch die Fahrertür vor dem Unfall geschlossen war, könne kein Mitverschulden erkannt werden. Der Beklagte hafte zu 100%. Die sehr umfangreiche Entscheidung zeigt, dass die Haftungsfrage bei „Einsteigeunfällen“ sehr schwer zu beantworten ist. Ohne anwaltlichen Rat können die Unfallbeteiligten den Fall kaum abzuwickeln.