„Wer wegen zu schnellen Fahrens auf der linken Fahrspur auf der Autobahn mit seinem Pkw auf einen ihm vorausfahrenden Pkw auffährt, haftet für den daraus entstehenden Schaden!“, das hatte sich ein Daimler-Benz Fahrer gedacht, nachdem ihm am 25. Mai 2007 ein Porschefahrer mit angeblicher hoher Ausgangsgeschwindigkeit auf seinen Benz aufgefahren war. Seine Einschätzung sollte sich als falsch herausstellen.
Was war passiert?
Übereinstimmend erklärten die Verkehrsteilnehmer gegenüber dem zu entscheidenden Gericht, dass der Pkw-Fahrer des Daimler-Benz vor der Kollision am 25. Mai 2007 von der rechten Fahrspur auf die linke auf der BAB A6 gewechselt war, um einen ihm vorausfahrenden Lkw überholen zu können. Danach fuhr der noch weiter zurückliegende auf der linken Fahrspur fahrende Porsche-Fahrer auf den Daimler Benz auf. Soweit ist der Sachverhalt unstreitig.
Die Parteien stritten dagegen, wie es im Einzelnen zu dem Unfall kam. Nach Ansicht des Daimler-Benz-Fahrers habe er sich bereits 100 bis 150 Meter vor Erreichen des Lkws vollständig auf die linke Spur mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 110 km/h eingeordnet. Zur Kollision zwischen den Fahrzeugen sei es dann erst gekommen, als er schon auf Höhe des Lkw gefahren sei.
Der Porschefahrer behauptet dagegen, der Daimler-Benz Fahrer sei völlig unerwartet und unnötig, als er noch 500 Meter vom Lkw entfernt gewesen sei, schon auf den linken Fahrstreifen gewechselt ohne zuvor den Fahrtrichtungsanzeiger links gesetzt zu haben. Den Fahrspurwechsel habe der Daimler-Benz Fahrer eingeleitet, als er mit seinem Porsche schon fast auf Höhe des Daimler-Benz gewesen sei.
Was konnte noch aufgeklärt werden?
Das Tatsachengericht holte wegen der streitigen Einzelheiten zwischen den Parteien ein Sachverständigengutachten zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes ein. Der Sachverständige konnte anhand der verwertbaren Spuren lediglich noch feststellen, dass der Porsche nahezu geradlinig auf das Heck des Daimler-Benz auffuhr und der Fahrspurwechsel des Daimler-Benz Fahrers zum Kollisionszeitpunkt vollständig abgeschlossen war. Die Geschwindigkeitsdifferenz zum Kollisionszeitpunkt zwischen den Fahrzeugen betrug 20 km/h bis 30 km/h. Weitere Umstände des Unfallhergangs konnte der Sachverständige nicht mehr rekonstruieren.
Wie hat das Gericht entschieden?
Der Bundesgerichtshof entschied in seinem Urteil vom 13. Dezember 2011 (AZ: VI ZR 177/10), dass die Verkehrsteilnehmer jeweils den Schaden des anderen zu 50% zu tragen haben, weil sich die näheren Umstände des Unfallhergangs nicht mehr aufklären lassen.
Der Mercedes-Benz Fahrer hatte im Rahmen des Gerichtsprozesses vorgetragen, dass bei der Beurteilung der Haftung der jeweiligen Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen sei, dass bei Auffahrunfällen grundsätzlich der Auffahrende vollständig für den Schaden des vorausfahrenden hafte, weil nach der allgemeinen Lebenserfahrung sich der Schluss aufdränge, dass ein Verkehrsteilnehmer, der auf das vorausfahrende Fahrzeug auffährt, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat: Er ist entweder zu schnell gefahren, hat den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten oder war unaufmerksam.
Der BGH hielt diese aus der Lebenserfahrung ergebende Regel (Anscheinsbeweis) im konkreten Fall nicht für anwendbar. Es ist nach Ansicht des BGH zwar grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass auch auf Autobahnen der erste Anschein für ein Verschulden des Auffahrenden sprechen kann. Es genügt jedoch nicht, wenn zwischen den Verkehrsteilnehmern alleine das Kerngeschehen, also die Kollision durch Auffahren, feststeht. Es müssen noch weitere Umstände hinzukommen, damit diese Beweisregel Anwendung finden kann.
Nach dem Vortrag der beiden Fahrzeugführer sind im konkreten Fall nämlich beide Unfallverläufe – wie sie die Parteien vortragen – grundsätzlich denkbar: Nach der Schilderung des Porsche-Fahrers hätte der Mercedes-Benz-Fahrer seine Sorgfaltspflichten beim Fahrspurwechsel nicht beachtet und nach der des Mercedes-Fahrers wäre der Porsche-Fahrer entweder zu schnell oder zu unaufmerksam gefahren.
Welche dieser beiden Varianten nun zutrifft, konnte im Rahmen der Beweisaufnahme nicht geklärt werden.
Welche Haftungsquote setzte das Gericht an?
Da weder der eine noch der andere Verkehrsteilnehmer den für ihn günstigen Sachverhalt beweisen konnte, setzte das Gericht im konkreten Fall, da die Betriebsgefahren der beiden Fahrzeuge als gleichwertig anzusehen waren, eine Haftungsquote von 50 % an.
Hinweis!
Verfügt der Mercedes-Benz-Fahrer über eine Vollkaskoversicherung, kann er unter Umständen trotz seiner Mithaftung weitestgehend seinen Schaden ersetzt bekommen. Die Erstattungsleistungen sind nach dem Quotenvorrecht zu berechnen.
RA Eberhard Hofäcker (hofaecker@edk.de)
Rechtsanwälte EDK Eckert ∙ Klette & Kollegen
Sofienstraße 17 ∙ 69115 Heidelberg
Telefon: +49-(0)6221-914050 ∙ Telefax: +49-(0)6221-20111
www.oldtimeranwalt.de | www.edk.de
www.facebook.com/EDK.Rechtsanwaelte