OLG Köln zum Überholen bei unklarer Verkehrslage

In der aktuellen Ausgabe der Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR Heft 5 aus 2011, S. 290 f) sind gleich zwei aktuelle Entscheidungen veröffentlicht, die deutlich machen, dass zwischen Unfallregulierung und Verteidigung in der parallelen Verkehrsordnungswidrigkeitensache ein nicht zu verachtender Sachzusammenhang besteht.

Typische Ausgangslage: Der Mandant hatte einen Unfall und erscheint in der Kanzlei mit dem Auftrag, den Unfallschaden abzuwickeln. Häufig, wenn auch nicht immer, wurde gegen ihn und / oder den anderen Unfallbeteiligten ein Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet. Wie wichtig es sein kann, auch in der Bußgeldsache tätig zu werden – was sehr häufig in der Praxis unterbleibt – zeigen meines Erachtens die beiden in der MDR veröfentlichten Urteile (OLG Köln vom 07.12.2010 AZ: 4 U 9/09 und OLG Koblenz vom 28.10.2010 AZ: 2 U 1021/09). Hier zunächst das Urteil des OLG Köln in der Kurzversion, das Urteil des OLG Koblenz folgt in einem weiteren Beitrag:

Das OLG Köln entschied in einer Zivilsache, dass kein Überholen bei unklarer Verkehrslage (§ 5 Absatz 3 StVO) vorliegt, wenn auf einer geraden, bevorrechtigten Straße außerhalb des Ortes mit einer zulässigen Geschwindigkeit von nicht über 100 km/h auf gerader, frei einsehbarer Strecke ohne Gegenverkehr mehrere Fahrzeuge überholt werden, auch wenn im Überholbereich linksseitig die Einmündung einer untergeordneten Straße liegt, auf der sich ein wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer befindet.

Dem Urteil lag also, verständlicher ausgedrückt, folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte außerhalb geschlossener Ortschaft eine Fahrzeugkolonne überholt. Er befand sich auf der bevorrechtigten (Vorfahrts-)Straße. Entgegenkommender Verkehr war nicht vorhanden. Die Straße war frei einsehbar. Der Unfall geschah am Abend bei eingeschaltetem Abblendlicht beider beteiligter Unfallfahrzeuge. Von einer von links einmündenden Straße näherte sich der Beklagte. Unter Missachtung der Vorfahrt des Klägers fuhr er nach rechts einbiegend in die Vorfahrtsstraße ein. Es kam zur Kollission. Der Kläger verklagte den Beklagten auf Schadensersatz.

Die Frage, die sich das OLG Köln zu stellen hatte, war also, ob dem Kläger an dem Unfall ein Mitverursachungs- und Mitverschuldensbeitrag anzulasten war und zwar dergestalt, dass es zu einer Haftungsquote kommen muss oder ob der Kläger vollen Ersatz seiner Schäden verlangen konnte. In diesem Zusammenhang spielte insbesondere die Frage der Verletzung einer straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift, namentlich des § 5 Absatz 3 StVO (Überholen bei unklarer Verkehrslage), eine Rolle. Hier besteht – wie dies allgemein fast immer der Fall ist – eine Schnittstelle zwisschen Verkehrsunfallregulierung und Ordnungswidrigkeitenverfahren. Ein solches Überholen bei unklarer Verkehrslage ist natürlich  auch bußgeldbewehrt. In solchen Fällen wird dementsprechend in der Regel ein Bußgeldverfahren eingeleitet.

Bei „einfachem Überholen bei unklarer Verkehrslage“ drohen übrigens ein Bußgeld von 100,00 € (Regelsatz für Ersttäter) und drei Punkte in Flensburg. Bei Nichtbeachtung eines Überholverbotszeichens und anschließender Sachbeschädigung (Unfall) sind 300,00 €, vier Punkte und ein Fahrverbot von einem Monat fällig.

Das OLG Köln hat im zu entscheidenden Fall dem Kläger Recht gegeben. Es kam nicht zu keiner Haftungsquote.

Auch wenn es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, zeigt dieser Fall, dass es durchaus lohnenswert sein kann, sich im „parallelen“ Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren zu verteidigen. Die Entscheidung des Bußgeldrichters bindet zwar nicht unmittelbar das Zivilgericht, sie ist aber immer ein gutes Argument für eine dem Mandanten günstige Haftungsquote bis hin zum vollständigen Obsiegen.

Zudem bringt die Verteidigung in der Ordnungswidrigkeitensache den nicht zu verachtenden praktischen Vorteil, dass  bei bestehender Rechtsschutzversicherung bereits vorgerichtlich für ein Privatgutachten zum Unfallhergang Deckungszusage erteilt werden kann. Im Gegensatz zum Zivilverfahren (Unfallregulierung) trägt der Rechtsschutzversicherer im Rahmen der Verteidigung gegen den Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit auch die Kosten eines Privatgutachtens, sofern dieses für die Verteidigung im OWi – Verfahren erforderlich ist. Auf diese Weise lässt sich also, was in der Praxis ungemein wichtig ist, ein kostenloses und vor allem auch zeitnahes Gutachten zum Unfallhergang beibringen. Im Zivilverfahren werden solche Kosten vom Rechtsschutzversicherer nur im laufenden Gerichtsverfahren  getragen. Bis es aber zu einem entsprechenden Beweisbeschluss kommt (auch in einem selbstständigen Beweisverfahren) gehen oft mehrere Monate ins Land. Von der Unfallstelle ist dann sozusagen nichts mehr übrig … In meiner Praxis hat es sich gezeigt, dass die Rechtsschutzversicherer einem solchen Gutachten offen gegenüber stehen, nicht zuletzt, wenn man ihnen klar macht, dass da auch noch eine (teure) Verkehrsunfallregulierung im Raum steht, für die in der Regel auch Deckungszusage erteilt werden muss. Auch der Rechtsschutzversicherer hat ja ein gesundes (Kosten-)Interesse daran, dass der Fall letztlich gewonnen wird, dann erhält nämlich sein Geld zurück.

Mal ganz abgesehen davon, dass es dem Mandanten schwer zu vermitteln sein dürfte, warum er im Zivilverfahren vollständig obsiegt hat mit der Entscheidungsbegründung, es habe keine unklare Verkehrslage vorgelegen, während er im Ordnungswidrigkeitenverfahren mangels Verteidigung einen Bußgeldbescheid wegen Überholen bei unklarer Verkehrslage, also mindestens 100,00 € und drei Punkte, „kassiert“ hat. Wenn das dann auch noch die Punkte 16, 17 und 18 waren und die Fahrerlaubnis entzogen wird, kann man davon ausgehen, dass der Mandant nicht mit einem fröhlichen „Vielen Dank für die Blumen!“ auf den Lippen in der Kanzlei erscheinen wird. Das nur am Rande …

Fazit: Nur wer über den Tellerrand blickt, brockt sich keine Suppe ein, die der Mandant hinterher auslöffeln muss.

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