Die Zeiten, in denen dem Geschädigten bei einer fiktiven Schadensabrechnung von der Haftpflichtversicherung des Schädigers die Reparaturkosten ersetzt wurden, die das von ihm in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten oder der eingeholte Kostenvoranschlag ausweist, sind leider vorbei (fiktive Reparaturkostenabrechnung bedeutet: Die Schadensregulierung erfolgt auf Basis des Gutachtens oder Kostenvoranschlags – die Frage, ob und wie der Geschädigte das Kraftfahrzeug repariert, bleibt außer Betracht). Seit der sogenannten VW-Entscheidung des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 20.10.2009 – VI ZR 53/09) gilt für die fiktive Abrechnung von Reparaturkosten bei Kraftfahrzeugschäden folgendes:
Der Geschädigte braucht sich n i c h t auf eine von der gegnerischen Haftpflichtversicherung benannte günstigere Referenzwerkstatt verweisen zu lassen, wenn
– das Unfallfahrzeug nicht älter als drei Jahre war,
– das Unfallfahrzeug zwar älter als drei Jahre war, aber in der Vergangenheit stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt gewartet wurde („Scheckheftpflege“) oder im Falle eines vorherigen Unfallschadens in einer solchen Werkstatt repariert wurde,
– die benannte Referenzwerkstatt nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr keine marktüblichen Preise, sondern vertraglich vereinbarte Sonderkonditionen mit dem Versicherer des Schädigers zugrunde liegen (was für den Geschädigten schwierig nachzuweisen ist).
In allen anderen Fällen darf der Schädiger beziehungsweise sein Versicherer den Geschädigten auf eine kostengünstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen Fachwerkstatt verweisen. Allerdings muß er darlegen und gegebenenfalls beweisen, daß eine Reparatur in der benannten Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und er muß gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegen, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (vergleiche auch Senatsurteile vom 22.06.2010 – VI ZR 302/08 – und vom 13.07.2010 – VI ZR 259/09 mit weiteren Nachweisen).
Von dieser Möglichkeit macht die Versicherungswirtschaft regen Gebrauch. Das Procedere ist immer dasselbe:
Der Geschädigte beauftragt einen Kraftfahrzeug-Sachverständigen mit der Anfertigung eines Gutachtens oder er holt bei einem Autohaus einen Kostenvoranschlag über den Fahrzeugschaden ein. Das Gutachten oder der Kostenvoranschlag wird der gegnerischen Versicherung mit der Bitte um Regulierung übersandt. Diese erstellt ein eigenes Prüfgutachten und kürzt die Reparaturkosten mit Hinweis auf eine in der Region des Geschädigten befindliche günstigere Werkstatt.
Der Hinweis erfolgt manchmal sogar erst in einem Rechtsstreit, was nach dem BGH (Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 320/12) möglich ist, wenn dem nicht prozessuale Gründe wie beispielsweise Verspätungsvorschriften entgegenstehen. Nach Auffassung des Senats spielt es für den fiktiv abrechnenden Geschädigten keine Rolle, ob und wann der Versicherer ihn auf die alternative Reparaturmöglichkeit verweist.
Diese höchstrichterliche Rechtsprechung haben die Instanzgerichte weiter konkretisiert.
Nach Ansicht des Landgerichts Dortmund (Hinweisbeschluß vom 28.09.2011 – 4 S 51/11) ist die fiktive Abrechnung nach den Verrechnungssätzen einer markengebundenen Autowerkstatt nicht ausgeschlossen, wenn bei einem älteren Fahrzeug mit sehr niedriger Laufleistung (hier: 3.000 Kilometer) zwischen den Inspektionen 2008 und 2010 eine Inspektion ausgelassen sowie ein kleinerer Schaden nicht repariert wurde. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Geschädigte sämtliche Arbeiten an seinem Auto in der Markenwerkstatt durchführen lassen.
Das Oberlandesgericht München (OLG) hat erfreulicherweise der Versicherung einen Strich durch die Rechnung gemacht, die für den Geschädigten, der sein Fahrzeug selbst repariert hatte und den Schaden fiktiv abrechnen wollte, die billigste Werkstatt auswählte. Das Gericht hat festgestellt, daß die Reparaturkosten einer Eigenreparatur nach den von einem Sachverständigen berechneten Kosten der Reparatur in einer im Wohnbereich des Geschädigten ortsansässigen, nicht markengebundenen Fachwerkstatt zu den ortsüblichen Verrechnungssätzen zu erstatten sind. Der Geschädigte brauche sich nicht auf bestimmte Stundenverrechnungssätze der billigsten, von der Versicherung ausgesuchten Werkstatt in der Region verweisen zu lassen (OLG München, Urteil vom 13.09.2013 – 10 U 859/13).
Das Landgericht Saarbrücken hat entschieden, daß der Geschädigte bei einer fiktiven Schadensabrechnung auch auf die preiswerte Reparaturmöglichkeit in einem Eurogarant-Fachbetrieb verwiesen werden kann (LG Saarbrücken, Urteil vom 11.10.2013 – 13 S 23/13). Nach den Feststellungen des beauftragten Gerichtssachverständigen handelt es sich bei den Eurogarant-Betrieben um zertifizierte Meisterbetriebe, deren Leistungen denen einer markengebundenen Werkstatt entsprechen. Die Kammer führt in den Entscheidungsgründen mit weiteren Rechtsprechungszitaten aus, daß es genügt, wenn dem Geschädigten in dem Prüfbericht des Versicherers ein Referenzbetrieb benannt wird. Dabei sind jedoch die maßgeblichen Kriterien zur Überprüfung der Gleichwertigkeit darzulegen.
Mit Urteil vom 31.10.2013 (2 C 441/12) gab das Amtsgericht Weißenburg einem Kläger recht, der das Unfallfahrzeug vor dem Hinweis des Versicherers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit derart in Zahlung gegeben hatte, daß er die gemäß dem Sachverständigengutachten kalkulierten Reparaturkosten vom Kaufpreis für das Ersatzfahrzeug in Abzug brachte. Das Gericht lehnte zutreffend eine Kürzung der fiktiven Reparaturkosten ab, denn der Geschädigte kann über das Unfallfahrzeug unter Zugrundelegung des Schadensgutachtens frei verfügen.
Es genügt nicht, wenn der Geschädigte die vom Versicherer schlüssig behauptete Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit – etwa mit dem allgemeinen Hinweis auf eine Untersuchung der Stiftung Warentest – pauschal bestreitet. Vielmehr muß er konkrete Anhaltspunkte für das Fehlen der Gleichwertigkeit aufzeigen (so das OLG Bremen im Urteil vom 07.02.2011 – 3 U 61/10). Hier gilt es so konkret wie möglich vorzutragen. Art und Umfang der Beschädigungen können den vom gegnerischen Haftpflichtversicherer benannten Reparaturbetrieb überfordern (Stichwort: Elektronik).
Jüngst hat der BGH dem Geschädigten den Weg verbaut, den Unfallwagen günstiger als wie vom Sachverständigen kalkuliert zu reparieren und die Differenz (ohne Umsatzsteuer) fiktiv geltend zu machen. Läßt der Geschädigte einen Kraftfahrzeugschaden sach- und fachgerecht in dem Umfang reparieren, den der eingeschaltete Sachverständige für notwendig gehalten hat, und unterschreiten die von der beauftragten Werkstatt berechneten Reparaturkosten die von dem Sachverständigen angesetzten Kosten, so beläuft sich auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten. Der Geschädigte hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Zahlung des vom Sachverständigen angesetzten Nettobetrags zuzüglich der tatsächlich gezahlten Umsatzsteuer, soweit dieser Betrag die tatsächlich gezahlten Bruttoreparaturkosten übersteigt (so die Leitsätze des Senatsurteils vom 03.12.2013 – VI ZR 24/13).
Vor dem Hintergrund dieser komplizierten Rechtsprechung ist bei der fiktiven Reparaturkostenabrechnung Vorsicht geboten. Dem Geschädigten ist zu raten, sich möglichst vor der Meldung des Unfallschadens bei der gegnerischen Versicherung in die Beratung eines mit der Regulierung vertrauten Rechtsanwalts zu begeben.
Artikel der Anwaltskanzlei Christoph Auschner, Nümbrecht