Laut Beschluß des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg vom 09.04.2013 (3 U 1897/12) gibt es derzeit kein allgemeines Verkehrsbewußtsein, daß das Tragen von Motorradschuhen zum eigenen Schutz eines Motorradfahrers erforderlich ist. Der Senat verneint aus diesem Grunde ein Mitverschulden des verletzten Motorradfahrers, der im Unfallzeitpunkt Sportschuhe trug.
Der Fall: Ein Autofahrer wollte rückwärts aus einer Parkbucht ausparken. Seine Sicht war durch ein rechts neben ihm parkendes größeres Fahrzeug eingeschränkt. Beim Zurücksetzen stieß er mit einem Motorradfahrer zusammen, der dadurch am Fuß schwer verletzt wurde. Der auf Schadensersatz und Schmerzensgeld klagende Motorradfahrer trug zum Unfallzeitpunkt Sportschuhe. Deswegen lastete ihm der beklagte Autofahrer bei dem entstandenen Personenschaden ein hälftiges Mitverschulden an. Hätte der Kläger statt leichter Sportschuhe Motorradstiefel getragen, wäre es nicht zu den schweren Fußverletzungen gekommen, argumentierte er.
Eine gesetzliche Vorschrift zum Tragen von Motorradstiefeln existiert nicht (sondern nur für einen Schutzhelm, vergleiche § 21 a Abs. 2 StVO). Jedoch ist auch ohne gesetzliche Vorschriften ein Mitverschulden des Verletzten anzunehmen, wenn er sich nicht „verkehrsrichtig“ verhält, also keine zumutbare Maßnahmen trifft, um die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr möglichst gering zu halten. Nach Meinung des OLG Nürnberg gibt es heute kein allgemeines Verkehrsbewußtsein, zum eigenen Schutz Motorradschuhe zu tragen. Es sei schon nicht ersichtlich, auf welche Art von Schuhen sich ein solches Bewußtsein beziehen soll. Zwar möge es zutreffen, daß 80 % der Motorradfahrer Motorradstiefel tragen und Stiefel im Gegensatz zu leichtem Schuhwerk die Verletzungsgefahr herabsetzen. Damit sei aber noch nicht belegt, daß dies insbesondere im Bereich der Fußbekleidung allgemeinem Verkehrsbewußtsein entspricht.
Das OLG Düsseldorf hatte am 20.02.2006 (1 U 137/05) – allerdings ohne nähere Begründung – ein Mitverschulden eines Motorradfahrers ohne Schutzkleidung angenommen, der von einem Linksabbieger übersehen wurde und deshalb ein zum Sturz führendes Bremsmanöver vornahm. Auch das OLG Brandenburg bejahte ein Mitverschulden des Kraftradfahrers, der keine Motorradschutzkleidung trägt und bei einem Verkehrsunfall mit einem Kraftfahrzeug daraus folgende Verletzungen erleidet (OLG Brandenburg, Urteil vom 23.07.2009 – 12 U 29/09). Dort war der Motorradfahrer lediglich mit einer Stoffhose bekleidet gewesen. Das OLG Brandenburg führte zutreffend aus, daß Motorradfahrer wegen der Instabilität des Fahrzeugs auch im normalen Straßenverkehr besonders gefährdet sind. Deshalb würden sämtliche mit Motorradsicherheit befaßten Verbände empfehlen, Schutzkleidung einschließlich Protektoren zu tragen. Ein Kraftradfahrer, der auf eine Schutzkleidung verzichtet, gehe bewußt ein erhebliches Verletzungsrisiko bei einem Unfall ein, was ein „Verschulden gegen sich selbst“ begründe.
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des OLG Nürnberg zu kritisieren. Sie berücksichtigt nicht ausreichend, daß sich Motorradfahrer oft mit hohen Geschwindigkeiten im Straßenverkehr bewegen und dadurch einem großen Verletzungsrisiko ausgesetzt sind. Wenn der Senat bezüglich der zitierten Entscheidung des OLG Brandenburg ausführt, für eine Motorradhose könne ein allgemeines Verkehrsbewußtsein bestehen, fragt sich, warum das für Motorradschuhe anders sein soll. Nach der Statistik des Instituts für Zweiradsicherheit (ifz) liegt bei Motorradfahrern die Verletzungshäufigkeit gerade im Bereich der Beine (wozu auch die Füße gehören) bei etwa 80 %. Im vorliegenden Fall mußte bei dem Motorradfahrer aufgrund der erlittenen Verletzungen eine distale Unterschenkelamputation erfolgen. Ich finde, das OLG Nürnberg hätte zu einer Kürzung der Schmerzensgeldansprüche des Klägers kommen müssen.
Artikel der Anwaltskanzlei Christoph Auschner, Nümbrecht