In seinem Urteil vom 13.01.2011 (BeckRS 2011, 03189) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der in der Anmerkung zu Nr. 2300 VV geregelten Kappungsgrenze beschäftigt und unter anderem ausgeführt:
„… Die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr ist einer gerichtlichen Über-prüfung entzogen. Für Rahmengebühren entspricht es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 v.H. (sog. Toleranzgrenze) zusteht. Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen. Mit der Erhöhung der in jedem Fall angemessenen Regelgebühr um 0,2 haben die Rechtsanwälte des Klägers die Toleranzgrenze eingehalten. …“
Dieses Urteil ist von der Rechtsprechung (OLG Celle BeckRS 2012, 00668) und der Literatur kritisiert worden. Nach dem Wortlaut der Anmerkung zu Nr. 2300 VV kann eine höhere Gebühr als 1,3 nur dann gefordert werden, wenn die Angelegenheit umfangreich oder schwierig war. Die Beantwortung dieser Frage unterliegt der gerichtlichen Beurteilung und kann nicht durch die vom BGH herangezogene Toleranzgrenze eingeschränkt werden. Der eindeutige Wortlaut dieser Vorschrift zieht der richterlichen Auslegung Grenzen, die Anmerkung zu Nr. 2300 VV erlaubt es gerade nicht, dass der Rechtsanwalt in einer durchschnittlichen Angelegenheit anstelle einer 1,3-fachen Regelgebühr in allen Fällen eine 1,5-fache Gebühr erhält.
Dennoch hat der VI Senat des BGH sich der Rechtsprechung des IX Senats in seinem Urteil vom 08.05.2012 (BeckRS 2012, 10950) mit kurzer Begründung angeschlossen.
In seinem Urteil vom 11.07.2012 (BeckRS 2012, 16854) hat sich nunmehr der VIII Zivilsenat mit dieser Frage beschäftigt und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die 1,3-fache Regelgebühr hinaus nur dann gefordert werden kann, wenn die Angelegenheit umfang-reich oder schwierig war. Diese Frage ist im Hinblick auf die Toleranzrechtsprechung einer gerichtli-chen Prüfung nicht unterzogen. Zur Begründung führt der VIII Senat aus, dass der Rechtsanwalt bei anderer Betrachtung für eine durchschnittliche Angelegenheit anstelle einer 1,3- fachen Gebühr stets eine 1,5-fache Gebühr erhalte. Dies sei mit dem eindeutigen Wortlaut und auch mit Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes nicht in Einklang zu bringen. Von besonderem Interesse ist die Auseinandersetzung mit der oben zitierten Rechtsprechung des IX und des VI Senates:
„… Der IX. Zivilsenat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er ebenfalls dieser Auffassung sei und sich aus seinem Urteil vom 13. Januar 2011 (IX ZR 110/10, aaO Rn. 18) nichts anderes ergebe. Der VI. Zivilse-nat hat mitgeteilt, dass er im Hinblick auf die Äußerung des IX. Zivilsenats, dessen Entscheidung er sich angeschlossen hatte (Urteil vom 8. Mai 2012 – VI ZR 273/11, juris), keine Bedenken gegen die in Aussicht genommene Entscheidung des VIII. Zivilsenats hat .…“
Mit diesem Urteil dürfte klargestellt sein, wie der so genannte „Durchschnittsfall“ abzurechnen ist, nämlich mit einer Geschäftsgebühr i.H.v. 1,3. Insbesondere im Rahmen der Verkehrsunfallregulie-rung dürfte diese Entscheidung von größter praktischer Bedeutung sein.