Ein Auszug aus dem Buch „Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren“ von Wolf-Dieter Beck / Ulrich Löhle / Jost Henning Kärger.
Immer wieder ist zu beobachten, dass bei relativ geringfügigen Verkehrsverstößen – oft bei Geschwindigkeitsüberschreitung oder Rotlichtmissachtung – eine Vorladung zum Verkehrsunterricht durch die Verwaltungsbehörde erfolgt. Manchmal wird diese schon unmittelbar nach Zustellung des Anhörungsbogens oder Erlass des Bußgeldbescheides ausgesprochen, ohne dass die Behörde abwartet, ob ein Verkehrsverstoß überhaupt nachweisbar ist.
Gemäß § 48 StVO ist die Vorladung zum Verkehrsunterricht nur zulässig, wenn davon auszugehen ist, dass der Betroffene einer Belehrung bedarf, also einen Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr benötigt. Es muss also feststehen, dass der Betroffene Verkehrsvorschriften nicht oder nur unzureichend kennt bzw. beherrscht bzw. dass er die Bedeutung und Tragweite einer Vorschrift nicht erfasst. Ist davon auszugehen, dass der Verkehrsteilnehmer die Vorschrift, die er missachtet hat, kennt, ist die Vorladung zum Verkehrsunterricht unzulässig.107 Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 48 StVO kann eine einmalige Verfehlung dann eventuell Anlass zu einer Vorladung zum Verkehrsunterricht sein, wenn ein grober Verstoß gegen eine grundlegende Vorschrift vorliegt oder wenn der Betroffene sich besonders uneinsichtig gezeigt hat.
Nach der Rechtsprechung ist die Vorladung zum Verkehrsunterricht allerdings nur ausnahmsweise zulässig und zwar dann, wenn der Betroffene über etwas belehrt werden kann, was er nicht weiß, nicht versteht und in seiner Tragweite nicht begreift oder wenn feststeht, dass er eine wichtige Verkehrsvorschrift vergessen hat.108 Wenn keine Anhaltspunkte vorliegen, dass ein Erziehungsbedürfnis bei dem Betroffenen besteht, ist die Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht fehlerhaft.109 Ansonsten muss regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Wirkung des Bußgeldes auf den Betroffenen ausreicht, es also keiner zusätzlichen Maßnahme bedarf.
Grundsätzlich wird so bei einem Betroffenen, der erstmals einen Verstoß begeht, die Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht gem. § 48 StVO ausscheiden.
Nur wenn Anhaltspunkte aufgezeigt werden, dass bei dem Betroffenen ein ganz besonderes Erziehungsbedürfnis vorliegt, ist die Anordnung des Verkehrsunterrichts beim Ersttäter möglich. Bei einem Mehrfachtäter dagegen kann der Verkehrsunterricht angeordnet werden, wenn der Betroffene durch die Wiederholungstat gezeigt hat, dass der Anstoß durch die Ahndung seiner Tat nach dem OWiG nicht ausreichen wird, genauso wie die entsprechende Ahndung der vorausgegangenen Tat.
Wer übrigens entgegen § 48 StVO einer rechtskräftigen Vorladung zum Unterricht nicht folgt, handelt zwar ordnungswidrig, es kann ein Bußgeld verhängt werden; eine aktive Teilnahme am Verkehrsunterricht ist allerdings nicht erzwingbar.110 Gegen die Vorladung ist das Rechtsmittel des Widerspruchs zulässig.
Darauf hinzuweisen ist noch, dass einige Rechtsschutzversicherer nach ihren Bedingungen Versicherungsschutz in derartigen Verwaltungsstreitigkeiten gewähren und zwar bereits für die Anfechtung des Bescheids, der den Verkehrsunterricht anordnet (also vor dem Widerspruchsverfahren!).
Praxistipp
Wegen der aus den dargestellten Gründen meist großen Erfolgsaussichten führt ein anwaltliches Vorgehen gegen die Anordnung des Verkehrsunterrichts meist zu einer hohen Mandantenzufriedenheit und – bei Eintrittspflicht einer Rechtsschutzversicherung – auch aufgrund des verwaltungsrechtlichen Regelstreitwertes zu einem interessanten Honorar.
107 Müller, VD 2001, 263; vgl. auch Rebler, VD 2005, 297.
108 Burmann/Janker, §48 StVO; VGH München NZV 1991, 207.
109 VGH München NZV 1991, 207; vgl. zu dem gesamten Problem: Beck, DAR 1993, 405; vgl. auch BVerfG NJW 1967, 1221.
110 Vgl. hierzu Burmann/Janker, § 48 StVO Rn5.