In seinem Urteil vom 28.12.2011 hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle zu einer Fragestellung genommen, die alle auf dem Gebiet des Verkehrsrechts tätigen Rechtsanwälte interessieren dürfte. In diesem Verfahren war unter anderem die Frage zu klären, ob der beauftragte Rechtsanwalt für seine außergerichtliche Tätigkeit eine Geschäftsgebühr i.H.v. 1,5 abrechnen kann, oder ob ihm lediglich eine Gebühr i.H.v. 1,3 zusteht.
Der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einer Entscheidung vom 13.01.2011 (BeckRS 2011, 03189; MDR 2011, 454 f.) die Auffassung vertreten, dass die Erhöhung der Rahmengebühr von 1,3 auf 1,5 der gerichtlichen Überprüfung entzogen sei. Für Rahmengebühren entspreche es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Ermessensspielraum von 20 v. H. (sog. Toleranzgrenze) zustehe. Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze, ist die von ihm festgelegte Gebühr nicht unbillig im Sinn des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Unter Hinweis auf diese Entscheidung wurde versucht, in Verkehrsunfallsachen grundsätzlich eine Geschäftsgebühr i.H.v. 1,5 abzurechnen.
Dieses Urteil ist von einigen Instanzgerichten kritisiert worden. Das OLG Celle hat sich dieser Kritik angeschlossen und sich ausdrücklich gegen den BGH gestellt. Der Gesetzgeber hat für den „Durchschnittsfall“ in Nr. 2300 VV RVG als Regelsatz die 1,3-fache Gebühr vorgesehen. Eine darüber hinausgehende Gebühr kann der Rechtsanwalt nur fordern, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Diese Voraussetzungen unterliegen der gerichtlichen Überprüfung, welche nicht durch die vom BGH herangezogene Toleranzgrenze eingeschränkt werden könne; der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Jede andere Wertung, insbesondere die Einräumung eines Toleranzspielraums, würde dem Gesetzeswortlaut widersprechen und dazu führen, dass die ohnehin schon erfolgte Erhöhung auf den 1,3-fachen Regelsatz in Zukunft in jedem Fall auf das 1,5-fache angehoben werden könne. Dies laufe aber der eindeutigen Intention des Gesetzgebers zuwider.
Die Entscheidung ist angesichts der Formulierung der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG zutreffend. Die Kappungsgrenze kann nur dann überschritten werden und zu einer Gebühr i.H.v. 1,5 oder mehr führen, wenn die Angelegenheit umfangreich oder schwierig war.
Ulrich Sefrin
Rechtsanwalt, Euskirchen