Klaus Schmedding
„Leichtkollisionen – Wahrnehmbarkeit und Nachweis von Pkw-Kollisionen“
Vieweg+Teubner Verlag, 1.Auflage 2011 , 158 Seiten, EUR 39,95
Dipl. Phys. Klaus Schmedding veröffentlicht im Wege einer Erstauflage ein Buch zur Analyse von Leichtkollisionen. Er selbst ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger der IHK Oldenburg und u.a. ein erfahrener Gutachter zu Straßenverkehrsunfällen. Vor diesem beruflichen Hintergrund nimmt er auf ca. 160 Seiten sogenannte „Leichkollisionen“ von Kfz in den Blick.
Mit Leichtkollisionen sind gemeint „vorwiegend Ereignisse, bei denen nur oberflächliche, geringe Schäden an beiden Kfz entstehen“ (S.9). Ein in der Praxis äußerst bedeutsames Anwendungsbeispiel für eine Leichtkollision ist damit die typische Ausparkkollision zwischen zwei Fahrzeugen. Zweck der Untersuchung derartiger Kollisionen ist, die Schwierigkeiten aufzulösen, die sich bei der Beurteilung von § 142 StGB, der „Unfallflucht“, v.a. bezogen auf den subjektiven Tatbestand – also den Vorsatz beim vermeintlichen Täter – ergeben. Denn bei leichten Kollisionen zieht sich der vermeintliche Unfallverursacher gern auf die Behauptung zurück, er habe den tatsächlich gegebenen Unfall nicht bemerkt und sich daher vorsatzlos vom Unfallort entfernt, was, wenn man dem folgt, den subjektiven Tatbestand entfallen lässt. Schmedding versucht, v.a. eine verlässliche Orientierung zu vermitteln, ob eine bestimmte Kollision durch den Fahrzeugführer hätte wahrgenommen werden müssen („Wahrnehmbarkeitsschwelle“). Derartige objektiv verifizierte Aussagen sind auch deshalb hilfreich, weil Zeugenaussagen dem Rechtspraktiker vielfach ein falsches Bild vom Hergang vermitteln und von der Wahrnehmung der Situation durch den Fahrzeugführer erheblich abweichen können.
Schmedding wendet sich mit dem Buch an die mit § 142 StGB befassten Personen, also an Juristen (Staatsanwälte und deren Ermittlungspersonen, Strafverteidiger, Verkehrsanwälte und Richter), Sachverständige, ggf. auch Dozenten und unter Umständen auch an Versicherer. Letztere können an der Beantwortung der Frage, ob ihr Versicherter § 142 StGB verwirklicht hat, ein Interesse haben, weil nach der Rechtsprechung dann ein versicherungsvertraglicher Aufklärungspflichtverstoß bejaht werden kann.
Inhaltlich stellt Schmedding zunächst hinsichtlich des „Tatobjekts“ das Verformungsverhalten von PKW dar und kommt dann zum „Tatsubjekt“, indem er auf das menschliche Wahrnehmungsvermögen eingeht. Damit beleuchtet er die naturwissenschaftlichen Hintergründe. Anschließend nimmt er Bezug auf die bisherige Literatur, insbesondere die „Standardwerke“ von Welther und Wolff und – Werke aus den 80er bzw. 90er Jahren. Auf ihrer Grundlage leitet Schmedding zu eigenen Studien über und stellt eigene Fallbeispiele vor. Anhand dieser praxisrelevanten Beispiele (etwa Streifkollisionen zweier PKW auf Parkplatz, Ausparkkollision VW Golf/ 3er BMW, Kollision zwischen PKW mit Anhängerkupplung und PKW-Frontpartie) trifft er Aussagen zur Wahrnehmbarkeit der Kollisionen. Er kommt beispielsweise bezüglich der besagten „Ausparkkollision“ zum Ergebnis, dass es schon recht ausgeprägter Schadensspuren am getroffenen Kfz bedarf, bevor man die Wahrnehmbarkeit sicher bejahen kann. Bloße Schleifspuren reichen also i.d.R. nicht, um die Wahrnehmbarkeit annehmen und einen Vorsatz unterstellen zu können. Besonders interessant sind auch die durch den Autor beschriebenen Versuche mit unvorbereiteten Probanden und die Untersuchung besonderer Fahrsituationen, wie die Auswirkung des Betätigens des Bremspedals im Moment der Kollision. Hier kommt er zu Ergebnissen der Wahrnehmbarkeitsbeeinflussung, die über den bisherigen Kenntnisstand hinausgehen.
Eine große Stärke des Buches liegt darin, dass alltags- und deliktstypische Beispielskollisionen ausgewählt, ausgeführt und ausgewertet wurden, was insbesondere den Umgang mit dem Buch wesentlich erleichtert und so gerade für den Juristen, der regelmäßig nicht Techniker ist, technische Fragen nachvollziehbar werden lässt.
Insgesamt handelt es sich um ein sehr wertvolles Werk, dass der verfolgten Zielgruppe aus v.a. Juristen und Sachverständigen eine gute Orientierung vermittelt. Ein Rechtsanwalt z.B. kann je nach Grad der Ähnlichkeit des Aktenfalles zum Buchbeispiel einschätzen, ob sein Mandant den Unfall doch durchaus hätte wahrnehmen müssen und somit, ob der Unfallbeteiligte den subjektiven Tatbestand von § 142 StGB mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verwirklicht hat. Damit kann von vornherein eingeschätzt werden, wie erfolgversprechend eine Freispruchverteidigung ist. Ein kostspieliges Sachverständigengutachten kann häufig entbehrlich werden, da bereits die Lektüre des Buches den Verlauf eines Verfahrens abschätzbar werden lässt. Dass das Werk sein Ziel, die Rechtspraxis im Bereich von § 142 StGB zu erleichtern, erreicht, kann nur bestätigt werden.
Das Buch kann für Interssierte online bestellt werden: