Polizei kann Geschwindigkeitsüberschreitung schätzen – Anforderungen an die Schätzung verschärft

Das OLG Karlsruhe hat mit Beschluss vom 19.6.2008 (Az.: 1 Ss 25/08) entschieden, dass Geschwindigkeitsschätzungen bei der Verfolgung von Temposündern zwar zulässig, aber nur mit großer Zurückhaltung von Gerichten als verlässlich anzusehen sind.

Das OLG hat auf eine Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin ein Urteil des Amtsgerichts Rastatt aufgehoben. Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h zu einer Geldbuße von € 100,- und erließ ein 2-monatiges Fahrverbot. Ertappt wurde der Fahrzeuglenker in einer Fußgängerzone, für die eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h galt, von zwei Bereich im der allgemeinen Verkehrsüberwachung tätigen Stadtbediensteten. Diese wollten während eines Streifgangs gesehen haben, dass das Fahrzeug mit lautem Motorengeräusch angerast und viel zu schnell durch die Fußgängerzone gefahren ist.

Das OLG wies darauf hin, dass bei der Feststellung von Geschwindigkeitsüberschreitungen durch bloße Schätzung erhebliche Zurückhaltung geboten sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn es sich bei dem Schätzenden um eine im Straßenverkehr unerfahrene Person handele und nicht um einen in der Überwachung des fließenden Verkehrs erfahrenen Beamten. Weiter sei eine nähere Beschreibung der konkreten Örtlichkeit erforderlich, an welcher der Verkehrsverstoß begangen wurde, sowie des Blickwinkels, aus welchem der Zeuge diesen wahrgenommen hat. Auch bedarf es nach Ansicht des OLG der Darlegung der gefahrenen Wegstrecke und der etwaigen Zeitdauer des Verstoßes, um ggf. mittels einer Weg-Zeit-Berechnung die Bekundungen des Zeugen auf ihre Schlüssigkeit nachzuprüfen.

Insgesamt zeigt die wichtige Entscheidung des OLG, dass man Bußgeldbescheide, die aufgrund von Temposchätzungen ergangen sind, von einem versierten Verkehrsanwalt überprüfen lassen sollte, weil Gerichte wegen der allgemeinen Unzuverlässigkeit der Schätzmethoden besondere Anforderungen an die Geschwindigkeitsschätzung stellen, die von der Polizei oft nicht eingehalten werden.

Der Artikel stammt von Loren Grunert
e.Consult AG