Weniger Schmerzensgeld bei fehlender Schutzkleidung, so urteilte der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (12 U 29/09).
Der Fall
Es ging um einen Unfall, der sich so ähnlich schon vor einigen Jahren ereignet hatte. Ein Klassiker, der sich aber immer wieder in unterschiedlichen Varianten wiederholt:
Unmittelbar nach dem Aufwachen fällt Wilhelm Brause ein, daß ihm das zweit- und drittwichtigste in seinem Leben fehlt: Tabak und Kaffee.
Noch völlig im Tran greift er nach seinem Jethelm, steigt auf die V-Max und brezzelt los zur nahegelegenen Tankstelle. Für die kurze Strecke in die Kombi? Vergiß es! Boxershorts und Muscleshirt reichen ebenso wie die Badelatschen. Es gelingt Wilhelm, trotz Nikotin- und Koffeinentzug heil an der Tankstelle anzukommen, bezahlt wird – wie im Werbefernsehen – mit der Karte, nur nicht so lasziv. Ein kurzer small talk mit dem Tankwart, dann schlurft Brause noch rauchend zum Mopped.
Er genießt die frische Luft auf der Haut und tuckert gemütlich vor sich hin, als von links Bulli Bullmann mit seinem 30 Tonner auf die Hauptstraße einbiegt. Durch die überlange Nachtfahrt völlig übermüdet, sieht Bullmann den vorfahrtsberechtigten Moppedfahrer nicht. Brause gelingt es so eben gerade, einen Zusammenstoß mit dem Truck zu verhindern, überbremst aber dabei das Vorderrad und rutscht auf seinem eigenen Hinterteil hinter der V-Max her und knapp am LKW vorbei. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In der Poliklink, wo man ihm den Splitt aus dem Gesäß operiert, beide Knie- und beide Ellenbogengelenke ruhig stellt sowie diverse andere Blessuren an Händen und Füßen verarztet.
Die Tränen sind noch nicht ganz getrocknet, als Brause auch nach Verdienstausfall, Ersatz der von ihm zutragenden Heilungskosten und Schmerzensgeld von Bullmanns Haftpflichtversicherer schreit.
In der Entscheidung, die das OLG Brandenburg zu treffen hatte, ging es „nur“ noch um das Schmerzensgeld. Der materielle Schaden war bereits reguliert. Und
Die Lösung
Das brandenburgische Gericht meint, wer sich nicht schützt, obwohl er sich schützen könnte, bekommt eben weniger. Die Mithaftung aufgrund Mitverschuldens an den erlittenen Schmerzen führt zum Abzug, und zwar mit folgender Begründung:
Schließlich ist auch in gewissem Umfang […] ein Mitverschulden des Klägers insoweit anzunehmen, als er an den Beinen keine Schutzkleidung getragen hat, sondern lediglich mit einer Stoffhose bekleidet war. Zwar existieren anders als bei der Helmpflicht keine gesetzlichen Vorschriften darüber, dass jeder Motorradfahrer über das Tragen eines Helmes hinaus insgesamt eine Motorradschutzkleidung zu tragen hat. Ein Mitverschulden des Verletzten ist aber auch bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (BGH NJW 1979, 980, in einem Fall, in dem der Geschädigte noch vor Einführung der Helmpflicht keinen Helm getragen hat). Zu berücksichtigen sind bei der Beantwortung der Frage, ob ein so genanntes Verschulden gegen sich selbst vorliegt, die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie der Gesichtspunkt, was den Verkehrsteilnehmern zuzumuten ist, um diese Gefahren möglichst gering zu halten. Eine Schutzbekleidung hat die primäre Aufgabe, den Motorradfahrer vor den negativen Folgen eines Sturzes zu schützen bzw. diese zu vermindern. Aufgrund der Instabilität des Fahrzeugs ist der Motorradfahrer nicht nur bei Rennveranstaltungen, sondern auch im normalen Straßenverkehr besonders gefährdet. Deshalb empfehlen sämtliche maßgeblichen Verbände, die sich u. a. mit der Sicherheit und im Besonderen auch mit der Motorradsicherheit befassen, einen Schutz bei jeder Fahrt mit sicherer Motorradbekleidung. Entsprechende Empfehlungen findet man z. B. beim ADAC, beim Institut für Zweiradsicherheit (ifz), das zudem eine Statistik veröffentlicht hat, wonach die Verletzungshäufigkeit gerade im Bereich der Beine bei etwa 80 % liegt, sowie des Deutschen Verkehrssicherheitsrates e. V. Letztgenannter hat im Jahre 2008 beschlossen, an die Motorradfahrer zu appellieren, Schutzkleidung einschließlich Protektoren zu tragen. Die meisten Motorradfahrer empfinden es heutzutage als eine persönliche Verpflichtung, mit Schutzkleidung zu fahren. Jeder weiß, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein um ein vielfaches höheres Verletzungsrisiko in sich birgt, wobei natürlich nicht verkannt werden soll, dass auch mit dem Tragen von Motorradschutzkleidung nicht jeglichen Verletzungsgefahren entgegengewirkt werden kann. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, zu welchen Leistungen das Motorrad letztlich in der Lage ist. Auch für „kleine Maschinen“ kann auf Schutzkleidung zur Vermeidung schwerer Verletzungen nicht verzichtet werden. Dass es ungeachtet von Überlegungen (auch in der EU) zur Einführung einer Tragepflicht von Motorradkleidung noch nicht zu einer entsprechenden normierten Festlegung gekommen ist, ändert nichts an der Tatsache, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens eine Schutzkleidung trägt und er, sofern er darauf verzichtet, bewusst ein erhebliches Verletzungsrisiko im Falle eines Unfalls eingeht und es deshalb sachgerecht erscheint, im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes ein Verschulden gegen sich selbst schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen (so auch – allerdings ohne Begründung – OLG Düsseldorf NZV 2006, 415 f).
Vorliegend hat der Kläger auf das Tragen einer Schutzkleidung ausgerechnet an den Beinen (Kopf und Oberkörper waren hinreichend geschützt), also dort, wo die Verletzungsgefahr am Größten ist, verzichtet. Es kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil der am linken Bein erlittenen Verletzungen wie Prellungen und Riss-wunden, die eine umfangreiche chirurgische Wundversorgung erforderten, nicht eingetreten wären, wenn der Kläger auch an den Beinen eine Schutzbekleidung getragen hätte.
Soweit das hohe Gericht, wie ich finde, mit einem nachvollziehbaren Standpunkt.
Die Anmerkung
Ich weiß nicht, ob eine solche Entscheidung zum Tragen von schwerem Leder in der Stadt bei sommerlichen Temperaturen motivieren kann. Allerdings wissen wir, neben dem üblichen Risiko, das unser Hobby so mit sich bringt, lauern weitere Gefahren auf uns, wenn man die Protektoren ablehnt.
Und wenn sich diese Gefahren realisieren, sollte man nicht jammern. Das ist eben der Preis für die frische Luft auf der – dann ehemaligen – Haut.
Quelle: http://www.kanzlei-hoenig.de/blog-kategorie/motorradrecht/